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Märchen erzählt, Lieder gesungen, auch allerhand Scherz und Mutwillen getrieben. Kommen dann noch einige Burschen aus der Nachbarschaft hinzu, so wird’s mitunter gar laut und lustig. Auch besondere Spiele, sogenannte „Reigen,“ finden sowohl Sommers im Freien als auch Winters in irgend einer größeren Stube statt, natürlich wiederum von passenden Liedern begleitet und gedeutet. Diese Lieder aber sind wie ein duftiger Windeshauch, an lauem Maienabend hergeweht, wer weiß, von wo, – wie ein tröstlicher Lichtschimmer, der dem einsamen Wanderer aus unbekannter Ferne herüberwinkt, – sie gleichen den sangesfrohen Zugvögeln, welche plötzlich kommen und da sind, ein ewiges Wunder und ein ewige Thatsache. Wie der einzelne vergeht, das Volk, die Gattung aber bleibt, so vergehen die einzelnen, aus bestimmten Verhältnissen hervorgegangenen Anlässe und Antriebe zum Singen, – das Lied selbst aber bleibt als etwas Besonderes und dennoch Allgemeines, als etwas Nationales und doch Reinmenschliches! …

Was nun meine Übertragungen einer Auswahl lettischer Volkslieder betrifft, so habe ich dieselben möglichst sinn- und formgetreu zu gestalten und das fremdartige Kolorit der Originale zu wahren gesucht, ohne doch der deutschen Sprache ihre natürlichen Rechte irgendwie zu verkümmern.




III.
Mythologisches.


Eine zusammenhängende Götterlehre der alten Letten giebt es nicht, ebensowenig wie eine in sich geschlossene Heldensage, ein Volksepos. Aber aus Liedern, Sagen und Märchen gewinnt man den Eindruck, daß beide, Götterlehre

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/10&oldid=- (Version vom 22.8.2016)