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Er wünscht einen Gerstenmäher,
Sie sich eine Deckenweb’rin[1]

Lieber Pate, liebe Patin,
Tragt mich schnell zur heil’gen Taufe!
Vater, Mutter möchten sonst
Namenlos mich auferziehen.

Paten, stochert nicht die Zähne
Nach dem Taufschmaus und dem Tauftrunk!
Schmerzen werden Täuflings Zähne,
Schelten wird er seine Paten.[2]

Wiege, Mütterlein, mich, wiege
In der großen Hängewiege!
Daß ich schlank und lang einst werde,
Eine flinke Leinenweb’rin.

Deine Schuld ist’s, liebe Mutter,
Daß zur Sängerin ich aufwuchs,
Weil du unters Wiegenkissen
Eine Nachtigall mir legtest!

Führt mich mit Gesang zu Grabe,
Nicht mit Weinen und mit Klagen:
Singend zieht dann meine Seele,
Singend ein beim lieben Gott!

Mit mir, der ich allen Freund bin,
Streitet doch ein Fleckchen Erde;
Wollt’ mit Gelde es beschwicht’gen,
Doch es giert nach meinem Leibe.


  1. d. h. er wünscht sich einen Sohn, sie eine Tochter.
  2. Ein interessanter Aberglaube.
Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/19&oldid=- (Version vom 10.1.2019)