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Sehr beweglich klagt der Trinker:
„Wo nur finde ich ein Bräutchen?
Weiße Blum’ am Mühlenteiche
Soll mein liebes Bräutchen werden!“
Doch die weiße Blum’ erwidert:
„Nimmer frei’ ich einen Trinker,
Nimmer einen Branntwein-Bruder,
Stürze lieber mich ins Wasser!“ –

Bruder Bier mich also fragte:
„Brüderchen, willst du mich trinken?
Nun, sobald du von mir trinkest,
Nimm auch lust’ge Lieder an!“

Laßt uns singen, traute Schwestern,
Weil wir alle noch beisammen!
Ach, Gott weiß, wo übers Jahr
Jede von uns weilen wird?
Manche in der weiten Fremde,
Manche unterm sand’gen Hügel!

Singe, singe, arme Waise,
Kennst ja viele schöne Lieder!
Für den Tod von Vater, Mutter,
Hast im Sang du Trost gefunden.

Zornig schilt die liebe Mutter,
Müde meines vielen Singens,
„Sag mir, Mütterchen, wo laß ich
Meine Sang- und Klangeslust?
Soll ich sie am Ende gar
In den tiefen See versenken?“

Sag, wo fandest du die Worte,
Die das Aug’ zu Thränen rühren?

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/38&oldid=- (Version vom 11.1.2019)