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135.
Die Entführte.

Auf der Eiche saß der Rabe
In der Hand die goldne Kohklis.
„Schautest du nicht, kluger Rabe,
Wohin führte man die Schwester?“
„Dorthin führte man die Schwester,
Wo am Nebelsee das Haus steht;
Führte sie mit grauen Pferden,
Schönem Wagen samt dem Brautschatz;
Baut’ ein Vorratshaus von Schilfrohr,
Deckt’s mit grauen Reiherfedern;
Macht’ ein Bett aus roten Rosen,
Weiße Rosendecke drüber.
Dort liegt eure liebe Schwester,
Wie ein rotes Preiselbeerchen,
Neben ihr der stolze Fremde,
Schön wie eine junge Eiche.…“

136.
Waisenmädchens Glück.

Wie der weiße Schwan im Wasser
Bin ich im Gered’ der Leute,
Wasser haftet nicht am Schwane,
Nicht an mir das Volksgered’.
Schwan, erheb dich aus dem Wasser,
Wie ich aus dem Klatsch mich hob! …

Gestern stieg ich auf den Hügel,
Sah mich um in Nah’ und Fern’;
Lauschte neubegier’gen Ohres:
Was erdröhnt’ die Erde so? …
Ritt im Thal auf schmuckem Rößlein
Reichen Hofbesitzers Sohn.
Hielt am Fuß des grünen Hügels
An sein wohlgepflegtes Roß,

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/43&oldid=- (Version vom 4.9.2016)