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Kämpfen mit äußeren Feinden, Polen, Schweden, Russen, zum Paradiese des Großgrundbesitzes, wo ein herrischer Feudaladel auf stolzen Zwingburgen, später Rittergütern saß, seine Privilegien und Stammbäume hütend, während in den Städten (namentlich in der Hansastadt Riga) Handel und Gewerbefleiß rastlos aufblühten. Dann kam der große Zar Peter und machte den Wirren und Drangsalen Livlands und Esthlands für immer ein Ende (im Frieden zu Nystadt 1721). Am Ausgang des Jahrhunderts ergab sich auch das Herzogtum Kurland freiwillig der Krone Rußlands. … Was aber war in all den wechselnden Schicksalen, unter denen die deutschen Kolonisatoren gelitten, aus den ursprünglichen Bewohnern des Landes geworden, aus den Esthen und Letten? Die Antwort lautet trübe genug: Leibeigene, Knechte der neuen Herren, Haus- und Lasttiere, die gar nicht einmal als Menschen betrachtet wurden. Man vernichtete die Blüte ihrer Kraft in unzähligen Schlachten, man beraubte sie ihrer Schätze und ihres Landes, man stieß sie noch unter das Tier hinab. Der Herrenstolz der Eroberer, namentlich der Ordensritter, meist „jüngerer Söhne“ alter Adelsgeschlechter aus Westfalen, vom Niederrhein u. s. w., ihre Herrsch-, Genuß- und Bereicherungswut, der geistliche Hochmut der Priester und endlich die stete Geschäftigkeit der Bürger, welche schlechterdings keine Zeit hatten, an etwas anderes als ihre eigene Thätigkeit und die Abwehr äußerer Angriffe zu denken, – diese Faktoren summiert, ergeben die erstaunliche Thatsache, daß es den Kolonisatoren innerhalb von siebenhundert Jahren nicht gelungen ist, die Ureinwohner zu germanisieren und in sich aufgehen zu machen. … Als man sich dann endlich eifriger um die Förderung des Volksunterrichts zu kümmern begann, war’s schon zu spät. Jetzt wollten sich die Autochthonen

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/5&oldid=- (Version vom 14.8.2016)