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Wie ein altes Weib zurück:
stolz und trotzig pocht das Herz mir
In der Brust und meine Muskeln
Schwellen bei dem Lustgedanken
An Gefahr, an Kampf und Wunden!
Nicht weil auf der Gegenwart mir
Alp gleich lastet stets die Zukunft
Flieh’ ich froher Menschen Kreise,
Flieh’ die Lust und flieh’ die Liebe;
Nicht weil ich mich elend fühle
Bleib’ mit mir ich gern allein –
Nein, um andre nicht zu stören,
Zu betrüben, nicht in andern
Große Hoffnungen zu wecken,
Die sich nimmer doch erfüllen,
Die gar bald mit mir dahin!

Wohl im Reigen könnt’ ich jauchzen,
Wohl im Arm ein Mädchen wiegen,
Wohl im Kampf die Keule schwingen
Und im Frieden sän und ernten,
Aber käme dann die Stunde
Meines Schicksals, müßten jene
All die Freunde und die Liebste,
Kriegsgefährten, Kameraden,
Doppelt trauern, doppelt klagen.
Drum durch jahrelangen Mißmut,
Jahrelangen Grames-Anschein
Sucht’ ich alle an mein Schicksal
Zu gewöhnen. Leider scheint es
Mir nicht ganz geglückt zu sein!

Was die Götter uns bestimmen,
Müssen wir in Ehrfurcht tragen,
Und wenn tödlich sie ergrimmen,
Sollen wir nicht weibisch klagen.
Unser ist die kleine Erde,
Ihrer die Unendlichkeit,
Ihr „Vergehe!“ und ihr „Werde!“
Füllt mit Wesen Raum und Zeit.

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/53&oldid=- (Version vom 4.9.2016)