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Nicht an sich das frische Leben
Fesseln soll der Todgeweihte,
Und das war ich schon am ersten
Tage meines kurzen Daseins.


          Maija.
Ach, daß keine Rettung winkt!


          Marger.
Nicht auf Rettung darf ich sinnen:
Was der Gott beschloß, ist weise,
Wenn wir’s nimmer auch begreifen.
Andres aber schafft mir Qualen,
Andres nagt an meinem Herzen – :
Nicht, wie Vater, Mutter wollen,
Feig’ und knechtisch mich verkriechen
Unter Stein- und Eisenplatten
Darf ich vor des Gottes Blitzstrahl, –
Sünde wär’s an Ihm und mir!


          Maija.
Marger, Held, – ich blicke schaudernd,
Blick’ bewundernd zu dir auf!


          Marger.
Bald, ich weiß es, kommt der Vater
Mit den Ältesten des Stammes,
In den Turm mich zu verschließen,
Wo ich dann von Mitternacht bis
Mitternacht, wie ein Verbrecher
Schmachten soll, als könne Pehrkons
Blitz nicht Stein und Eisen spalten;
Nein, das kann ich nicht ertragen!


          Maija.
Giebt’s denn nicht ein Mittel?


          Marger.
                    Habe
Lange schon mein Hirn zermartert,
Solch ein Mittel auszusinnen;
Doch vergebens.

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/56&oldid=- (Version vom 26.12.2019)