Seite:Anmerkungen übers Theater.pdf/52

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heut zu Tage Volksgeschmack bleibt und bleiben wird. Und da find ich, daß er beym Trauerspiele oder Staatsaktion, ist gleich viel, immer drauf losstürmt (die Aesthetiker mögens hören wollen oder nicht) das ist ein Kerl! das sind Kerls! bey der Komödie aber ists ein anders. Bey der geringfügigsten drollichten, possirlichen unerwarteten Begebenheit im gemeinen Leben rufen die Blaffer mit seitwärts verkehrtem Kopf: Komödie! Das ist eine Komödie! ächzen die alten Frauen. Die Hauptempfindung in der Komödie ist immer die Begebenheit, die Hauptempfindung in der Tragödie ist die Person, die Schöpfer ihrer Begebenheiten.

Also ganz und gar wider Madame Dacier in ihrer Vorrede zum Terenz, der ich bey dieser Gelegenheit höflichst die Hände küsse.

Das Trauerspiel bey uns war also nie wie bey den Griechen das Mittel, merkwürdige Begebenheiten auf die Nachwelt zu bringen, sondern merkwürdige Personen. Zu jenem hatten wir Chroniken, Romanzen, Feste, zu diesem Vorstellung, Drama. Die Person mit all ihren Nebenpersonen, Interesse, Leidenschaften, Handlungen. Und war sie todt, so schloß das Stück, es müßte denn noch ihr Tod Würkungen veranlaßt haben, die auf die Person ein noch helleres Licht zurückwürfen. Daher führen uns unsere ältesten Schauspieldichter oft in einem Akt ohne Anstoß durch verschiedene Jahre fort, sie wollen uns die ganze Person

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Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen übers Theater. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Anmerkungen_%C3%BCbers_Theater.pdf/52&oldid=- (Version vom 31.7.2018)