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Kein Brot, keine Kleidung, keine Betten, keine Arbeit, aber Krankheit fast in jeder Familie. Dieser Zustand ist schlimmer als der Tod.

Arabkir. Von mehr als 400 christlichen Häusern sind nur noch 30 Familien übrig, die keine Erschlagenen zu beklagen haben, aber alles leidet Hunger und Blässe. Es giebt kein Mittel, sich ein Stück Brot zu verschaffen. Die kleinen Kinder irren ganz nackt und ohne etwas zu essen zu haben herum und schreien: „Hatz, Hatz!“ „Brot, Brot!“

Sivas. Die Berichte aus den Dörfern sind ziemlich überall die gleichen. Ein großer Teil der Häuser sind verbrannt, alle Kleidungsstücke, Betten u. s. w. fortgetragen. die Ueberlebenden vergraben sich in Stroh, Kinder sterben vor Kälte und Hunger. Viele Leute verwundet und ohne Pflege.

Ein Offizier sagt, er habe Frauen gekannt, die nach einem türkischen Dorfe gegangen wären, um ein wenig Brot zu erbetteln und die vor Hunger und Kälte auf dem Wege gestorben wären.

In der Provinz Erzerum wird jetzt über 50 000 Personen Unterstützung gewährt. Es wird kein Versuch gemacht, die Armut zu beseitigen; der einzige Gedanke ist, die Leute am Leben zu erhalten.

Ein junger Mann, der 90 Meilen durch gefährliche Gegenden zu Fuß zurückgelegt hatte, bat um Unterstützung. Sein Bericht war wie folgt: Es sind 85 armenische Häuser in dem Dorfe, in das er gehört. Jedes Haus wurde geplündert, und viele Personen wurden getötet. Das Gemetzel fand statt, als das Korn auf den Feldern reif war. Niemand wagte es, aus dem Dorfe hinauszugehen, um es zu ernten. Die Kurden kamen, teilten die Felder unter sich, schnitten das Korn und trugen es fort. Das jetzige Elend ist unbeschreiblich. Mehrere Personen sind vor Hunger gestorben. Der Vater und Bruder des jungen Mannes wurden getötet, und er hat seine Frau und mehrere kleine Kinder im tiefsten Elend zurückgelassen, um zu kommen und von der Not seines Dorfes und dreier ebenso bedürftiger Dörfer zu berichten.

In der Provinz Charput wurden 60 000 Menschen in 300 Dörfern unterstützt. Wir geben aus einem Brief über den dortigen Notstand folgendes wieder:

Ich möchte einige Worte über die Lage sagen. Ich habe versucht, die Zukunft hoffnungsvoll anzusehen und zu glauben, daß die Leute sich wiederaufrichten würden; und ich habe die eingehendsten Berechnungen

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/102&oldid=- (Version vom 31.7.2018)