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gemacht über die Hülfe, die notwendig sein wird, um das Volk vor Hungersnot zu schützen, aber ich sehe, daß die Frage wächst, je weiter wir kommen, und die Not nimmt eine immer schrecklichere Gestalt an.

Vor zwei Wochen besuchte ich einige der Dörfer mit Dr. Hubbell und Herrn Fontana, dem englischen Vice-Konsul.

Das erste Dorf war Sorseri, eine halbe Meile von Mezreh, einem vormals großen und wohlhabenden Dorfe. Von 160 Häusern sind 155 verbrannt worden, aber das Dorf liegt dem Regierungssitz so nah, daß hier weniger zu fürchten ist als an entfernteren Orten. Sie haben auch Bäume, und in vielen Höfen sahen wir Bauholz, was auf die Absicht schließen läßt, ihre Häuser wieder zu bauen. Dies freute uns, und wir kamen zu der Ueberzeugung, daß dieses Dorf sich mit wenig oder gar keiner Hülfe erholen würde. Wir gingen an Sorseri vorüber und an Bank, wo das Kloster, die Kirche und alle Häuser in Trümmer liegen, und kamen nach Tadem. Hier ritten wir auf einen hohen Hügel, der das Dorf beherrscht, und die ganze Verwüstung war uns sichtbar. Das Dorf enthielt früher 250 Häuser, von denen jetzt 200 schwarze Trümmerhaufen sind. Das einzige Bauholz, das wir sahen, lag neben den Häusern der Aghas, die mit Zwangsarbeit einen prachtvollen Konak bauten.

Nicht ein Christ hat versucht, ein Obdach für sich zu bauen. Sie leben in den Trümmern ihrer Häuser, und der Typhus hat beinah in jeder Familie ein Opfer gefordert.

Von da ritten wir nach Huelu. Dies war früher das größeste und reichste Dorf auf der Ebene von Charput. Hier bemerkten wir wieder die Mühe, die man sich gegeben hatte, die Häuser zu zertrümmern. Sie sind mit Lehm beworfen und haben Lehmdächer, so daß sie von außen nicht leicht anzuzünden sind; aber die Angreifer brachten Petroleum, womit sie die Häuser eins nach dem ändern von innen in Brand steckten. So gründlich wurde das Werk verrichtet, daß die Leute nur noch Ställe, Keller und Ecken ihrer verbrannten Häuser zum Bewohnen haben.

Wir suchten die Leute dazu zu bewegen, ihre Häuser wiederzubauen; aber sie antworteten uns mit dem Worte, das man mehr wie jedes andere im Lande hört: Furcht! „Furcht und Hoffnungslosigkeit“ bezeichnen die Lage. Sie sagen: „Wir fürchten uns, irgend etwas zu

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/103&oldid=- (Version vom 31.7.2018)