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haben sich gerührt. Die französische Schweiz wurde durch Professor Godet, Neuchâtel, die deutsche Schweiz durch ein Berner Komitee in Bewegung gesetzt. Vereinzelte Kirchen, wie die von Frankfurt und Basel haben ihre Gemeinden von der Kanzel an ihre Christenpflicht erinnern lassen. Wir fragen darum, und es ist schmerzlich, daß diese Frage ausgesprochen werden muß: Was haben die großen evangelischen Landeskirchen in Deutschland, was hat die Preußische Landeskirche gethan? Ist es ihnen infolge der Haltung der deutschen Presse unbekannt geblieben, daß es ein Land wie Armenien giebt? Wissen sie nichts davon, daß diese unsere Zeit eine der größten Christenverfolgungen aller Jahrhunderte erlebt? Oder sind nicht auch in ihre Hände christliche Blätter gekommen, die etwas davon zu erzählen wußten? Und wenn das, wie bringen es die Männer, die an der Spitze der evangelischen Kirchen Deutschlands stehen, übers Herz, die furchtbaren Leiden der Christenheit im Morgenlande mitanzusehen, ohne auch nur ein Wort des Erbarmens über die Lippen zu bringen? Gebietet auch ihnen die hohe Politik Schweigen? Und wissen sie nichts von der höheren Politik des Reiches Gottes, die über den selbstsüchtigen Interessen der Reiche dieser Welt stehen? Ohne Zweifel, die Kirchenbehörden erwarten, daß jeder Pfarrer im stande ist, mit bewegtem Herzen und eindrucksvoller Rede über die Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten zu predigen. Soll der einzige Text, über den ihnen jetzt noch zusteht, zu predigen, der sein: „Wären wir zu unsrer Väter Zeiten gewesen, so wollten wir nicht teilhaftig sein mit ihnen an der Propheten Blut?“ Sollen sie auch nur der Propheten Gräber bauen und der Gerechten Gräber schmücken und nichts fragen nach dem, was in unsern Tagen geschieht? Nun wir glauben, daß Unkenntnis ihnen zur Entschuldigung dient und daß die evangelische Kirche, wenn auch spät, so doch endlich, sich aufmachen wird, um auch ihrerseits an der unter die Räuber gefallenen Christenheit des Morgenlandes ihre Pflicht zu thun. Die letzten Monate haben bewiesen, daß, nachdem die Wahrheit über Armenien an den Tag gekommen ist, die Evangelische Kirche in Deutschland einmütig für die Not des armenischen Volkes einzutreten gewillt ist. Vgl. die Kundgebungen im Anhang.


Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/113&oldid=- (Version vom 31.7.2018)