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daran machen solle, Leben und Eigentum der rebellischen armenischen Rayahs zu nehmen. Die Demonstration in Konstantinopel wurde von den Beamten als ein Versuch der Armenier, die Hohe Pforte zu stürmen, dargestellt; Gerüchte drangen hierher von armenischen Massacres, die in anderen Städten Anatoliens durch ihre Glaubensgenosten stattgefunden hatten. Man erzählte, die Armenier hätten Moscheen angegriffen, Dynamit gebraucht, und von ihren muhammedanischen Brüdern in Städten, wo Massacres stattgefunden hatten, kamen Berichte, welche dazu aufforderten, ihre Pflicht als Moslems zu thun. Ueberdies begann die Regierung, Waffen und Patronen an die Zaptiehs und andere Wachtmannschaften auszuteilen und ließ die armenischen Quartiere abpatrouillieren.

Ich muß noch hinzufügen, daß die telegraphischen Nachrichten von der Annahme der Reform den Muhammedanern so ausgelegt wurden, als ob sie den Armeniern Autonomie gewährten, eine Auslegung, welche von den Beamten der Regierung herrühren mußte, und welche einen verhängnisvollen Einfluß auf die Gefühle der Moslems gegen die Armenier hatte. Während so die Empfindung der Muhammedaner in Urfa aufgeregt war, ereignete sich ein Umstand, welcher den Stein ins Rollen brachte. Ich muß etwas ins Detail gehen, weil es sich um den meist umstrittenen Punkt, um die Veranlassung des umfangreichsten unter den neueren armenischen Massacres handelt. Ein Muhammedaner Ismael Birijikli kaufte von einem armenischen Geldwechsler, genannt Bogos, eine Anzahl Gahzis, alte Goldmünzen, die von den eingeborenen Frauen als Schmuck benutzt werden, und als er etwas langsam mit der Zahlung war, kam der Armenier Bogos Sonnabend, den 26. Oktober 1895, in das Haus des Muhammedaners, um sein Geld zu fordern. Der letztere, offenbar aufgebracht über das Kommen des Armeniers in sein Privathaus, um ihn wegen des Geldes zu drängen, wies den Geldwechsler rundweg ab, schickte ihn fort und sagte, er würde ihn morgen sehen.

Am folgenden Tage, Sonntag, den 27. Oktober, kam der Muhammedaner, treu seinem Wort, mit einigen Kameraden in Bogos’ Haus, und da man ihm sagte, daß der letztere aus sei, machte er sich auf, um ihn in den Straßen zu suchen. Er fand ihn nahe der armenischen Kathedrale in dem armenischen Quartier und schlug ihn mit einem Schlage tot nieder. Da es Sonntag war, befand sich eine

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/128&oldid=- (Version vom 31.7.2018)