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Da von den türkischen Behörden nach der Demonstration von Konstantinopel das Stichwort „Angriff der Armenier“ ausgegeben wurde, und die stereotype, offizielle Version von dem Ursprung der meisten Massacres „Angriff der Armenier auf Moscheen während des Freitagsgebetes“ lautete, muß obiger offizieller Bericht inbetreff der Patrouille mit der größten Reserve, wenn nicht mit Unglauben ausgenommen werden. Es ist überdies sonderbar, daß die Patrouille, die von den Armeniern angegriffen sein soll, in keiner Weise verletzt oder verwundet wurde, und daß es ihnen nicht gelungen sein sollte, einen von den armenischen Angreifern zu arretieren. Ich will noch eine andere armenische Version erwähnen, daß die Attacke von einer Bande als Armenier verkleideter Türken gemacht worden sei, mit dem Zweck, einen Vorwand zum Massacre zu geben.

Die wenigen Armenier, die am folgenden Morgen sich in den Bazar wagten, kamen alsbald zurückgelaufen, die meisten von ihnen verwundet und mit Blut überströmt. Es folgte ihnen ein bewaffneter muhammedanischer Pöbel, der das armenische Quartier angriff mit dem Rufe: „Tod den Ungläubigen!“

Als die Armenier, von denen der größere Teil zu Haus geblieben war, sahen, daß es die Muhammedaner auf ein allgemeines Massacre abgesehen hatten, leisteten sie an den Haupteingängen ihres Quartiers entschiedenen Widerstand und zwangen endlich den Pöbel, sich mit einem Verlust von 4 oder 5 Muhammedanern zurückzuziehen, während von ihnen selbst 27 getötet wurden.

Der Pöbel, der seine Absicht in dieser Beziehung vereitelt sah, richtete sein Augenmerk auf die Plünderung. 700 armenische Laden und 190 armenische Häuser wurden vollständig ausgeplündert und zerstört.

Die Schnelligkeit, mit der obige Ereignisse eines dem andern folgte, läßt auf einen zuvor bedachten Plan schließen, und es ist festgestellt, daß ein gewisser muhammedanischer Notabler von Urfa, Hussein Pascha, der später nach Aleppo versetzt wurde, der Hauptanstifter war, und daß der oben erwähnte Birijikli, der ein armer Mann und nicht in der Lage war, eine große Zahl von Gahzi-Goldmünzen zu kaufen, in dem Aufträge Hussein Paschas handelte, mit der Absicht, die Armenier zu einem offenen Akt der Gewaltthätigkeit gegen einen Muhammedaner zu treiben. Man muß hinzunehmen, daß erlogene Berichte

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/130&oldid=- (Version vom 31.7.2018)