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hatten, wurden als Reserve einberufen, und die Regierung forderte die Armenier auf, ihre Waffen auszuliefern, insbesondere 1800 Martinigewehre, die sie von auswärts erhalten haben sollten, indem versprochen wurde, daß nachher auch die Muhammedaner entwaffnet werden würden. Die Armenier erwiderten, daß sie keine solchen Martinigewehre hätten, und daß sie kein Vertrauen hätten zu ihren muhammedanischen Mitbürgern, da diese der angreifende Teil gewesen und erklärt hätten, die Regierung des Sultans habe die Ausrottung aller Armenier angeordnet, daß sie folglich die Waffen, die sie hätten, nicht ausliefern könnten, es sei denn, daß zuvor die Muhammedaner entwaffnet würden. Die Regierung bestand trotzdem darauf, die Armenier zuerst zu entwaffnen, indem sie dieselben wissen ließ, daß sie auf keinerlei Schutz hoffen könnten, es sei denn, daß sie ihre Martinigewehre ausgeliefert hätten.

Die eben einberufene Reserve wurde in das armenische Quartier verteilt, nominell zu ihrem Schutz; aber sie hörten nicht auf, den Armeniern zu erzählen, daß ihre Ausrottung von der Regierung beschlossen sei. Sie erpreßten hohe Summen Geldes und Wertsachen von ihnen, mit dem Versprechen, sie zu schützen und zuletzt eröffneten sie ihnen, daß nur diejenigen, die Muhammedaner würden, am Leben bleiben könnten. Alle, die den Islam annehmen wollten, sollten eine weiße Flagge auf ihren Dächern aufziehen. Die Armenier, in äußerster Verzweiflung, wurden en masse Moslems, und Donnerstag Nacht wehten unzählige weiße Fahnen auf dem Quartier der Christen. Die Regierung aber weigerte sich, ihren Uebertritt offiziell anzuerkennen und fuhr fort, die Auslieferung der Waffen zu fordern.

Um diese Zeit wurde ein Schriftstück des Inhalts, daß die Armenier das Wachhaus angegriffen, auf dasselbe gefeuert und Muhammedaner und Zaptiehs getötet, auch den Regierungstruppen mit modernen Feuerwaffen Widerstand geleistet hätten, bei den Häuptern der verschiedenen Konfessionen, sogar bei einigen Fremden zur Unterzeichnung vorgelegt. Dieses Schriftstück wurde mutmaßlich an die Central-Regierung nach Konstantinopel geschickt. Am 12. Oktober wurden 15 hervorragende Armenier auf das Regierungshaus bestellt. Dort wurden sie gefragt, was die rebellische Haltung bedeuten solle; sie sollten sofort 1800 Martinigewehre und 100 Revolver ausliefern und außerdem 10 Männer, die ausgewählt waren aus einer Liste von 120, die Sonntag, den 27. Oktober, das Wachhaus angegriffen haben

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/132&oldid=- (Version vom 15.12.2022)