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sollten, und der Kommandeur der Truppen, Nazis Pascha, sprach sich zornig gegen sie aus, daß er im Jahre 1876 in Bulgarien gewesen sei und wisse, wie man rebellische Rajahs behandeln müsse.

Die Armenier lieferten sofort die 16 geforderten Leute aus und machten, indem sie leugneten, Martinigewehre zu haben, das Anerbieten, alle anderen in ihrem Besitz befindlichen Waffen zu sammeln und abzugeben, was sie auch gleich in Angriff nahmen. Die Unterhandlung wegen der Uebergabe der Waffen dauerte einige Wochen, da die Regierung, nachdem sie die gewöhnlichen Waffen von den Armeniern ausgeliefert erhalten hatte, immer wieder aufs neue die Herausgabe der Martinigewehre forderte und sogar den Armeniern zu verstehen gab, daß, wenn sie keine Gewehre hätten, sie doch Geld hätten, um sich welche zu verschaffen. Die letzteren kauften in der That Revolver und andere Waffen von befreundeten Türken und anderen Christen, um sie der Regierung auszuliefern, und in der Verzweiflung versuchten sie die unaufhörlichen Nachfragen nach modernen Waffen zum Schweigen zu bringen, indem sie dem Mutessarif, dem Kommandeur Nazis Pascha und anderen Muhammedanern große Summen Geldes gaben und auch versuchten, ihre sogenannten Beschützer, die Reserve, in ähnlicher Weise zufriedenzustellen.

Am 30. November hatten sie 240 Stück Waffen, meist alte Gewehre, Pistolen, Dolche etc. und einige 15 Revolver. Am selben Tage bat die Missionarin Miß Shattuck, wie ich erwähnen will, um Erlaubnis und um eine Eskorte zu dem Weg nach Aintab, eine Erlaubnis, die ihr erst am 28. Dezember, eine Stunde vor dem letzten großen Massacre, gegeben wurde.

Am 1. Dezember griff der Pöbel aufs neue das armenische Quartier an und feuerte auf dasselbe. Er wurde aber von der Regierung zurückgehalten. Am 3. Dezember waren 600 Waffen aller Art ausgeliefert worden; aber der Mutessarif und der Kommandeur erneuerten immer noch ihre Forderungen. Die Armenier erfuhren nun alle Schrecken einer regelrechten Belagerung. Obwohl sie ihre Wächter bestochen hatten um unter dem Vorwande, daß es für die Soldaten bestimmt sei, ihnen Nahrungsmittel zu bringen, obwohl sie alte Quellen geöffnet hatten, die seit vielen Jahren verschüttet waren, ging ihnen doch Provision und Wasservorrat aus, und Lasttiere, die mehrere Pfund wert waren, wurden für ebenso viele Schillinge hingegeben.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/133&oldid=- (Version vom 31.7.2018)