Seite:Armenien und Europa. Eine Anklageschrift.pdf/134

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Zu dieser Zeit beschlossen sie, einen verzweifelten Versuch zu machen, um sich mit Aleppo in Verbindung zu setzen. Nachdem sie einen Bericht über ihre Lage auf ein Stück Stoff geschrieben hatten, nähten sie es in das Futter eines der langen Gewänder, die in dieser Gegend getragen werden, zogen es einem armenischen Bauer an, der nicht darnach aussah, als ob er die Aufmerksamkeit oder Begehrlichkeit der umherstreifenden Kurden auf sich ziehen würde und sandten ihn bei Nacht auf einem wenig frequentierten Wege nach Aleppo mit dem Versprechen hoher Belohnung im Falle des Gelingens. Aber auch dieser Bote wurde aufgefangen und des Gewandes beraubt, das die Botschaft trug.

Am 13. Dezember ordnete der Kommandeur der Truppen unter dem Vorwand, daß die Ruhe vollständig wieder hergestellt sei, an, daß die wenigen Armenier, deren Geschäftslokale, Bäckereien u. s. w. noch benutzbar wären, in die Stadt kommen und ihre Arbeit wieder aufnehmen sollten. Als sie es thaten, wurden sie angegriffen und verwundet und flohen in ihre Quartiere zurück. Der Kommandeur zwang sie wiederum, an ihre Arbeit zu gehen, und unter Bewachung von Kavallerie mußten die Armenier unter so ungewöhnlichen beängstigenden Bedingungen ihre Geschäfte besorgen. Die Regierung zwang sodann 25 hervorragende Armenier, ein Telegramm nach Konstantinopel zu unterzeichnen, des Inhalts, daß der Friede durch das unruhige Betragen einiger Armenier gestört gewesen sei, aber infolge der Bemühungen der Lokalbehörden nun die Ruhe wieder völlig hergestellt worden wäre. Während der folgenden Woche jedoch, obwohl die Behörden den Armeniern versicherten, daß sie nichts zu fürchten hätten, und daß die Regierung sich jetzt daran machen würde, die Muhammedaner zu entwaffnen (die Armenier hatten bis jetzt einschließlich von Revolvern und eines Martinigewehres 1200 Waffen jeder Art abgeliefert, von denen eine große Zahl gekauft wurde, um die Forderungen der Behörden zufriedenzustellen), gingen doch Gerüchte um von einem drohenden furchtbaren Massacre, denn freundlich gesinnte Türken ließen den Armeniern sagen, auf ihrer Hut zu sein, und den nicht armenischen Christen wurde geraten, aus Vorsicht einen schwarzen Turban zu tragen.

Endlich Sonnabend, den 28. Dezember, kam ein Gendarmerie-Hauptmann zu Miß Shattuck, um sie zu benachrichtigen, daß sie nach

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/134&oldid=- (Version vom 18.8.2016)