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warfen mit Petroleum getränkte Matten, an die sie Feuer legten, in die Gruben. In vielen Fällen wurden Frauen und Mädchen, die es versuchten, ihre Verwandten zu schützen, erbarmungslos niedergeschlagen.

Wenn in einem Haus alle Männer getötet waren, machte sich der Pöbel daran, in äußerst sorgfältiger Weise die Plünderung vorzunehmen. Dann gossen sie Kerosin aus, verbrannten Korn, Gerste, Holzwerk und alles, was sie nicht wegschleppen konnten, indem sie nur die leeren Mauern zurückließen. Während dieser von Haus zu Haus gehenden Schlächterei hielt ein beständiges Feuer an von dem Gipfel des Hügels über dem Quartier auf alle Armenier, die über die Dächer zu entrinnen suchten. Gegen Sonnenuntergang wie zu Mittag wurde wiederum eine Trompete geblasen, und der Pöbel sistierte sofort seine Arbeit mit Ausnahme einiger Strolche, die mit der Plünderung fortfuhren.

Am folgenden Tage, Sonntag, den 29. Dezember, wurde die Trompete in aller Frühe geblasen und das Massacre wieder aufgenommen. Große Scharen, die am Sonnabend nicht am Angriff teilgenommen hatten, weil sie Widerstand von seiten der Armenier befürchteten, schlossen sich nun dem Pöbel an. Die scheußliche Schlächterei des vorigen Tages wurde bis zum Mittag fortgesetzt, wo der Brand der armenischen Kathedrale stattfand, ein Akt, der an teuflischer Barbarei alles überstieg, was an Schreckensereignissen in den langen armenischen Massacres vorgekommen ist, und für den die Annalen der Geschichte wenig oder gar keine Parallelen bieten.

Sonnabend Nacht flüchteten sich Massen von armenischen Männern, Frauen und Kindern in diese herrliche Kathedrale, die mehr als 8000 Menschen faßt, und der Priester verwaltete das Sakrament, das letzte, das stattfand, und wie eine Notiz an einem der Pfeiler der Kirche angiebt, an 1800 Seelen ausgeteilt wurde. Diese blieben über Nacht in der Kathedrale und wurden am Sonntag durch viele Hunderte vermehrt, die hofften, daß der Schutz des heiligen Gebäudes sie vor den Gewaltthätigkeiten selbst eines fanatischen mohammedanischen Pöbels erretten würde. Man nimmt an, daß zuletzt 3000 Personen in der Kirche versammelt waren, als der Pöbel diese angriff.

Zuerst feuerten sie durch die Fenster hinein, sodann brachen sie die eisernen Thüren ein und machten sich daran, alle, die sich im Schiff der Kirche befanden, meist Männer, abzuschlachten. Nachdem

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/137&oldid=- (Version vom 31.7.2018)