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sind nun nicht mehr einzutreiben, da der Muhammedaner ebenso berechtigt zu sein glaubt, das Eigentum der rebellischen armenischen Rajahs zurückzubehalten, als er’s war, ihr Leben und Eigentum zu nehmen. In der That, eine der Folgen und Resultate der letzten Massacres ist eine wahrhafte Seisachtie, was die Schulden der Muhammedaner an Armenier betrifft.

Die allgemeine Lage der Armenier hier und in den umliegenden Landdistrikten, wenn nicht in allen asiatischen Provinzen des Reiches, ist beklagenswert. Sie werden thatsächlich als außerhalb des Gesetzes stehend angesehen und in den Augen der Muhammedaner kommt es beinahe darauf hinaus, daß ein Armenier zu sein schon ein Kapital-Verbrechen ist. Nur eine strenge Bestrafung der Muhammedaner, die an den neuen Massacres und Unruhen hervorragenden Anteil gehabt haben, verbunden mit einer langen Periode von Ruhe kann das Vertrauen wiederherstellen, und es ist zweifelhaft, daß eine solche Ruheperiode der Regierung des Sultans vergönnt sein werde. Diese Regierung hat den verhängnisvollen Fehler begangen, die Schuldigen mit den Unschuldigen zusammenzuwerfen und anstatt von dem Recht Gebrauch zu machen, mit aller Strenge des Gesetzes solche Armenier zu bestrafen, die sich wirklich verräterischer Handlungen gegen ihre rechtmäßige Obrigkeit schuldig gemacht haben, ist der weitere und nicht wieder gut zu machende Fehler begangen worden, der muhammedanischen Bevölkerung zu erlauben, die Prärogativen der Regierung an sich zu reißen, ihre blinde und unvernünftige Wut an einem zum größten Teil schuldlosen Teil der intelligentesten, arbeitsamsten und nützlichsten Unterthanen Sr. Majestät auszulassen.

Die Größe des Unheils in Urfa scheint trotz der offiziösen lügnerischen Berichte und Ableugnungen selbst die türkische Regierung erschreckt zu haben. Aber ihr Wille, eine sofortige Untersuchung und Bestrafung der verantwortlichen Behörden muß ernstlich bezweifelt werden aus der Hast, mit der einige ihrer Beamten in entfernte Teile des Reiches versetzt worden sind. Hassan Bey, Major der Gendarmerie, Haupturheber des ersten Massacre vom 1. Oktober wurde nach Janina gesandt, während Nazis Pascha, der Brigade- und General-Kommandeur der Truppen, welcher das zweite Massacre anführte, nach Korna am Zusammenfluß des Euphrat und Tigris versetzt wurde.

Die Lokalbehörden zu Urfa und in anderen Städten der Umgegend,

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/140&oldid=- (Version vom 31.7.2018)