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nicht entgehen lassen wollte, sich bei den türkischen Behörden wieder einzuschmeicheln.

Durch den Missionar Reynals ließ nun Konsul Williams den Armeniern mitteilen, sie sollten, zum Zweck der Besprechung der Sachlage und der Feststellung der etwaigen für die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung als geboten erscheinenden Bedingungen, einige Abgeordnete zu ihm senden; er ließ ihnen zugleich erklären, er habe den Auftrag, im Namen der sechs Großmächte mit ihnen zu verhandeln. Die Armenier erwiderten, daß sie nur unter Beisein und Mitwirkung der übrigen hier residierenden Konsuln auf eine Unterhandlung mit ihm eingehen könnten. Freitag, den 19. Juni, sowie an dem darauffolgenden Tag fand je eine Zusammenkunft statt; anwesend waren einerseits außer dem Konsul Williams noch der persische Konsul Mirza Hussein Chan und der derzeitige Verweser des russischen Konsulates, der Dragoman Karapet Tschilingaroff (der russische Konsul Wladimir war, wie schon oben erwähnt, verreist), seitens der Armenier der obgenannte Pater Dr. Sahak, nebst drei Abgeordneten. Die Konsuln verlangten von den Armeniern die Auslieferung der angeblichen drei „Rädelsführer“, welche die Verteidigung geleitet hatten, nebst sechzig anderen Hauptbeteiligten, unter der ausdrücklichen Versicherung, daß dieselben vom Sultan begnadigt werden sollten; diese Auslieferung sollte unter der besonderen Garantie des englischen Konsuls erfolgen. Die armenischen Abgeordneten erbaten sich nun eine Frist von 24 Stunden, um mit ihren Auftraggebern Rücksprache zu nehmen; bis zum Eintreffen ihrer Antwort sollte jeder weitere Angriff seitens der Türken auf sie unterbleiben.

Trotz dieser bestimmten Zusicherung sollte es aber anders kommen. In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni, acht Stunden nach Abschluß der vorerwähnten Verhandlung, brach ein erneuter Sturm seitens der Türken auf die unglücklichen Armenier aus. Ganz Aigestan wurde mittels 6 Kanonen, die auf der nahe gelegenen Anhöhe Akervikar ausgestellt waren, beschossen. Gleichzeitig begann das Plündern, Morden und Zerstören wieder. Feuer und Schwert wüteten auf diese Weise während 12 Stunden, bis zum Abend des folgenden Tages. Ueberall in der Stadt herrschte Schrecken und Entsetzen. Der Gouverneur forderte die Konsuln auf, um der Gefahr und dem Verderben zu entgehen, sich mit ihren Beamten und den Missionaren in die Citadelle

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/152&oldid=- (Version vom 31.7.2018)