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Thatsächlich verhielt sich die Sache nach unseren Informationen so: Der Gouverneur der Stadt, ein Eingeborener des Ortes und zwei oder drei andere wurden bei dem Gouverneur in Charput vorstellig, daß einige Personen von aufrührerischem Charakter in Eghin seien; ebenso wurde behauptet, daß einige Leute von Eghin an den letzten Unruhen in Konstantinopel beteiligt gewesen seien. Der Vali in Charput sprach darüber mit einigen Leuten aus Eghin, die in Charput leben. Diese schrieben an ihre Freunde und erhielten zur Antwort, daß nur eine verdächtige Person und zwar ein Mann aus Charput sich dort befinde und bereits fortgeschickt worden sei. Die Korrespondenz zwischen den Behörden in Eghin, Charput und Konstantinopel wurde gleichwohl einige Wochen in dieser Sache fortgesetzt, und es scheint, daß der Regierung in Konstantinopel die Ueberzeugung beigebracht wurde, daß aufrührerische Elemente in Eghin seien, und es kamen Befehle, daß man dieselben ausmerzen solle. Einige Tage später bedrohten Kurden, jedoch nicht in großer Zahl, den Platz, wurden aber von den Soldaten wieder weggeschickt. Dies wiederholte sich zwei- oder dreimal. Montag, den 14. September, erschienen sie wieder. Die Christen wurden mißtrauisch gegen ihre türkischen Mitbürger und schlossen ihre Läden. Dienstag Morgen, als die Läden noch nicht geöffnet waren, sandte der Gouverneur Ausrufer durch die Stadt, die bekannt machten, daß die Kurden zerstreut seien und daß die Regierung jedem Bürger völlige Sicherheit garantiere und daß jedermann seinen Laden wieder zu öffnen und sein Geschäft wieder aufzunehmen habe. Daraufhin wurden die Läden geöffnet und das Geschäft nahm seinen gewöhnlichen Lauf. Um Mittag wurde ein einzelner Schuß abgefeuert und alsbald begann die Schlächterei. Man nimmt an, daß der Schuß das Signal war; trotzdem behaupten die Türken, er sei von einem Armenier abgefeuert worden. Allem Anschein nach war das Blutbad der Anfang, und die Plünderung und das Verbrennen der Häuser folgte erst später. Man berichtete, daß viele Frauen und Mädchen sich selbst in den Euphrat stürzten, der am Fuße der Stadt fließt.

Der Kaimakam telegraphierte, daß zwei- bis dreitausend Menschen hilflos und dem Hunger ausgesetzt seien, und erbat Unterstützung. Die Regierung wird vielleicht etwas für den Augenblick thun, aber es wird nur zeitweise und unzulänglich sein. Eghin hat allem Anschein nach

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/158&oldid=- (Version vom 31.7.2018)