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Beamten; und Richter, Offiziere, Bezirkskominandanten, Valis etc. sind ganz ebenso „arm am Beutel“, aber unvergleichlich viel habgieriger. –

Thasie Pascha, der letzte Generalgouverneur von Bitlis, kann als Typus der hohen türkischen Würdenträger in der Vernichtungsperiode angesehen werden. – Er war ein habgieriger Geizhals und so grausam wie Ruppiero, der Feind Ugolinos, und so kalt wie Kapitän Malagar in Spencers „Feenkönigin“. Er hatte die Gewohnheit eine Menge reicher Armenier einzustecken, ohne eine Anklage, und ohne auch nur zu versuchen, einen Vorwand zu finden. – Dann wurde ihnen der Vorschlag gemacht, mit enormen Summen, welche den größten Teil ihres Vermögens ausmachten, die Freiheit zu erkaufen. Weigerten sie sich zu bezahlen, so wurden sie in einer Weise mißhandelt, daß die Folterungen der Juden im Mittelalter und die Qualen der Eunuchen der Prinzessinnen von Oude im heutigen Indien im Vergleich damit leichte Züchtigungen waren. Einige Männer mußten Tag und Nacht aufrecht stehen und durften weder essen, noch trinken, noch sich rühren. Wenn sie Kraft und Bewußtsein verloren, so brachte kaltes Wasser oder heißes Eisen sie bald wieder zu sich, und die Prozedur konnte fortgesetzt werden. Da die Türken hierbei über Zeit und Ausdauer im reichsten Maße zu verfügen hatten, so endigte die Sache meistens damit, daß die Armenier alles opferten, was das Leben wertvoll machte, nur um den entsetzlichen Martern zu entgehen. Sie mußten opfern oder wurden geopfert und wählten schließlich in der Regel das, was ihnen das kleinere Uebel zu sein schien.

In dem Vilajet von Bitlis wurden mehrere 100 Armenier, welche Geld oder Vieh besaßen, oder reichlich geerntet hatten, ganz willkürlich ins Gefängnis geworfen und nachdem sie große Summen bezahlt hatten, wieder frei gelassen. Einige, welche das Geld nicht auf einmal hinlegen konnten, wurden in ekelhaften Gefängnissen so lange festgehalten, bis sie die verlangte Summe zusammengebracht hatten oder durch den Tod befreit wurden. Gegen 100 Armenier starben allein im Gefängnis von Bitlis. Folgende Bittschrift, die von einem wohl bekannten Mann, dessen Namen ich veröffentliche, gezeichnet und an mich – und wenn ich nicht irre, auch an die auswärtigen Vertreter in Musch – gesandt wurde, giebt vielleicht einen kleinen Begriff davon, wie der Vali von Bitlis seine Provinz regierte: „Wir, die wir der türkischen Regierung mit der größten Treue gedient haben, werden,

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/164&oldid=- (Version vom 31.7.2018)