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und beide Männer fielen tot nieder. Was sich nun ereignete, war folgendes: Neunzehn Armenier aus dem Dorfe, von welchen keiner irgend etwas von dem wußte, was vorgegangen war, wurden verhaftet und eingesperrt. Man teilte ihnen dann mit, daß sie gegen ein hohes Lösegeld freigelassen werden würden. Zehn von ihnen bezahlten und wurden sofort entlassen. Der Rest wurde lange im Gefängnis gehalten. Keinem der Kurden geschah das geringste. „Warum sollte ein Muhammedaner dafür bestraft werden, daß er Armenier tötet?“ fragte mich ein kurdischer Räuber, der auch Hamidieh-Offizier war. „Das wäre ja unerhört.“ Ja, in der That, warum? Daß die Verwandten des Ermordeten bestraft, sogar streng bestraft werden, das erscheint einem Muhammedaner recht und billig – vielleicht weil es so üblich ist. –

Im August 1893 überfielen die Djibranly-Kurden das Dorf Kaphik, plünderten es und verwundeten einen Kaufmann, namens Oannes, der in seinem Laden beschäftigt war. Am nächsten Tage ging Oannes zum Untergouverneur (Kaimakam) von Khnoussaberd und erhob Klage, worauf ihn der Kaimakam wegen Lügens ins Gefängnis sperrte. Die Leiden, die er in jenem Typhusloche zu erdulden hatte, sind kaum zu glauben, aber das gehört in ein anderes Gebiet. Nach acht Tagen brachten seine Nachbarn einen Kurden zum Kaimakam, der bezeugte, daß Oannes wirklich in der von ihm angegebenen Weise verwundet worden war und also nicht gelogen hatte. – Auf dies hin, und erst auf dies, geruhte die Obrigkeit, den Leuten gnädigst zu gestatten, ein Lösegeld von 10 Pfund zu bezahlen, um den verwundeten Mann frei zu bekommen.

Die Einwohner von Krtaboz (einem Dorfe in Bassem) erzählten mir wunderbare Dinge, die sie von den Kurden sich hatten gefallen lassen müssen, die ihnen ihre 23 Ochsen, 28 Pferde, 60 Kühe und 20 Schafe weggetrieben hatten. Wie es dabei zuging illustriert folgende Geschichte: „Im letzten Mai (1894) überfielen 12 berittene Hamidieh unser Dorf und ergriffen unsern Priester Ter David. Sie versprachen ihn loszulassen, wenn er 6 Pfund bezahle. Er entlehnte die Summe, zahlte sie den Räubern und wurde losgelassen. Tags darauf ging Guil Bey nach Hassankaleh, um vor Gericht zu klagen. Man beschimpfte ihn, nannte ihn Lügner und ließ ihn einsperren. Nachdem er 40 Tage in dem abscheulichen Loch, das man dort

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/167&oldid=- (Version vom 31.7.2018)