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Gefängnis nennt, zugebracht hatte, erlaubte man ihm, ein Lösegeld von 7 Pfund zu bezahlen und heimzugehen.

Es wird niemals eine Sühne auferlegt für eine Schädigung, die einem Christen an Besitz, Gut, Leib oder Leben durch Muhammedaner zugefügt würden ist, nicht weil die Gerichtsbeamten zu faul oder zu achtlos wären, sondern weil sie nicht dürfen. Der Beweis hierfür, wenn ein Beweis überhaupt verlangt wird, ist, daß die Kläger sofort selbst dafür bestraft werden, daß sie eine Klage gegen ihre Bedränger vorgebracht haben. Wenn dagegen irgend einmal ein Kurde oder Türke das Opfer eines „Verbrechens“ oder auch nur eines Zufalls wird, dann kennt die Energie der Regierungsbeamten keine Grenzen. Im Frühjahr vorigen Jahres wandelten einige arme Kurden am Ufer des Flusses in der Nähe von Hußnahar entlang, als der Schnee gerade taute, und Flüsse und Bäche stark angeschwollen waren. Sie waren armselige Bettler, die sich kärglich von Almosen ernährten. Bei einem Versuche, den Fluß zu überschreiten, wurden sie fortgerissen und ertranken. Sofort wurden die Armenier des Dorfes beschuldigt, sie ermordet zu haben, und vier angesehene Männer unter diesem durchsichtigen Vorwand eingekerkert. Der wirkliche Grund ließ sich unschwer erkennen. Nach Verlauf von 7 oder 8 Monaten wurde den Leuten im Dorfe mitgeteilt, daß die Gefangenen gegen ein Lösegeld von 75 Pfund losgelassen werden würden. Die Summe wurde zusammengebracht, der Obrigkeit bezahlt, und die Gefangenen waren dann frei. Ich habe selbst zwei von ihnen, Atam und Dono, gesehen.

Die Abgaben, die die Armenier zahlen müssen, sind an sich schon übermäßig hoch, die Trinkgelder, die dazu gehören und von den Zaptiehs verlangt werden, können jede beliebige Höhe erreichen und die seltsamsten Formen annehmen, während die Art, wie beide eingesammelt werden, genügt, um die Forderung zu rechtfertigen, daß die türkische Wirtschaft aus Armenien weggefegt werde.

Um nur ein Beispiel davon anzuführen, wie verschieden in Städten die Muhammedaner und Christen eingeschätzt werden: es bezahlen die Muhammedaner in Erzerum, die 8000 Häuser besitzen, nur 395 000 Piaster, während die Christen, denen nur 2000 Häuser gehören, 430 000 Piaster bezahlen.

In den ländlichen Distrikten ist alles ohne Ausnahme hoch besteuert, aber die schwerste gesetzliche Steuerlast ist leicht, verglichen

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/168&oldid=- (Version vom 31.7.2018)