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Dinge thaten? Es blieb uns nichts übrig, als das Land zu verlassen, und dies thaten wir denn auch.“

Ein anderer Fall, in welchem die Frau eines protestantischen armenischen Missionars, Frau Sookyassian aus dem Dorfe Todoverau, das Opfer war. Ich kenne die Familie persönlich und habe die Porträts von allen Familiengliedern, auch von der Dame, die später ermordet wurde. Am 12. September 1894 (so bekundete Armenog Sookyassian, der Sohn dieser Frau) saßen wir bei Tische in dem Hause meines Vaters, als ein Knabe kam und uns sagte, daß Türken und Kurden angekommen seien und die Christen angreifen. Mein Bruder ging über die Straße in unseren Laden, um einen Revolver zu holen. Inzwischen drangen 16 Kurden in die Straße ein, bestiegen die Dächer und feuerten. Wir verbarrikadierten die Thüre, aber sie brachen sie auf. Eine Kugel traf meine Mutter in die Schulter, aber ohne sie ernstlich zu verwunden. Sie verteidigte sich nun vom Dache aus mit Steinwürfen. Ein Muhammedaner erhob sein Gewehr, zielte sorgfältig und drückte ab. Die Kugel traf sie in die Wange und ging unter dem Ohre wieder heraus, indem sie das halbe Gesicht wegriß. Sie fiel, wurde ins Haus getragen, verlangte Wasser und starb am andern Morgen. Wir klagten, aber niemand wurde bestraft.

Noch ein typisches Beispiel, und dann bin ich mit diesem Teile meines Beweises fertig. Der Fall, den ich jetzt erzählen werde, ist nicht bloß den Aussagen der beteiligten Personen entnommen, sondern amtlichen Berichten, die gezeichnet und gesiegelt sind von Regierungsbeamten, die ich selbst gesehen habe. Er wirft ein helles Licht auf die türkische Gerechtigkeit und enthält eine gewaltige Lehre für die Leute, welche immer noch türkischen Versprechungen glauben, als die beredtesten Auseinandersetzungen.

Im Juni 1890 ereignete sich im Dorfe Alidjikrek ein doppeltes Verbrechen. Die armenischen Hirten, welche die Herden weideten, kamen in größter Aufregung ins Dorf gerannt und riefen um Hilfe: „Die Kurden von Ibil-Ogloo Ibrahim sind mit ihren Herden gekommen und haben uns von unserm Weideland vertrieben!“ Das ist so eines der gewöhnlichen Vorkommnisse im türkischen Armenien. Vier junge Männer gingen hinaus, um mit den Kurden zu verhandeln. Aber kaum hatten sie den Platz erreicht, als die Kurden feuerten und einen der jungen Leute, Namens Hossep, auf der Stelle töteten. Ein

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/173&oldid=- (Version vom 31.7.2018)