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zweiter wurde tätlich verwundet; sein Name war Haroothioon. Ihre Kameraden flohen in Todesangst nach dem Dorfe zurück. – Die Leute stellten in ihrem Schrecken die Arbeit ein; der Priester und einige der angesehensten Einwohner des Ortes begaben sich nach dem Schauplatze des Mordes, während andere davon ritten, um die Gendarmerie zu benachrichtigen. Die Zaptiehs (Gendarmen) waren bald zur Stelle, von einem Regierungsbeamten begleitet. Sie fanden Hossep tot und den Ortsgeistlichen Ter Ohannes damit beschäftigt, dem sterbenden Haroothioon die Sterbesakramente zu reichen. Sie befahlen sofort, das Beten einzustellen und fragten in drohendem Tone: „Wo sind die kurdischen Mörder?“ „Sie sind geflohen!“ war die Antwort. „So! Vermutlich habt ihr sie getötet, ihr Hunde, und sie heimlich verscharrt. Ihr seid alle verhaftet.“ Und sich zum Priester wendend: „Du auch; vorwärts!“ – Sie wurden alle nach Hassankaleh geschleppt und in das abscheuliche Gefängnis dort gesteckt. – Nach einiger Zeit wurden sie in das Gefängnis zu Erzerum übergeführt. – Der Ortsgeistliche Ter Ohannes war ein wohlhabender Mann. Das Ausplünderungssystem hatte damals erst begonnen. Sein Bruder Karabed und die 10 Unglücksgefährten waren auch in guten Verhältnissen, und es schien daher den Beamten wünschenswert, deren Besitz in andere Hände gelangen zu lassen. – Man ließ sie daher in den ungesunden Dünsten eines verrotteten orientalischen Gefängnisses vermodern. Die Zeit schleppte sich hin, Tag um Tag, Woche um Woche, bis sie ganz vergessen zu sein schienen. Ihre Angehörigen schwebten in endloser Todesangst, ihre Geschäfte gingen zu Grunde, ihre Gesundheit wurde ruiniert. In diesem Pandeimonium verbrachten sie ein ganzes Jahr – die schrecklichste Zeit ihres Lebens.

Endlich flehten sie ihre Verfolger demütig an, ihnen die Freiheit zu geben und das Lösegeld zu bestimmen. Man einigte sich und gab ihnen den Rat, Kurden auszusenden, um die Spur der kurdischen Mörder, die sie wiederum ermordet zu haben beschuldigt waren, zu verfolgen. „Wenn man sie findet, werdet ihr freigelassen.“ Die Kosten dieses Rates und die Ausführung desselben beliefen sich auf 400 Pfund, die sie zu 40%, entlehnen mußten. Natürlich war die Nachforschung mit Erfolg gekrönt. Kurdische und türkische Räuber, die bloß Christen umgebracht haben, haben es nicht nötig, sich zu verstecken oder bange zu sein. – Was sie thun, ist wohlgethan. Die

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/174&oldid=- (Version vom 31.7.2018)