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giebt es, die, wie ihre Neigungen auch sein mögen, doch durch das Bewußtsein ihrer amtlichen Stellung sich bewogen fühlen, wenigstens nach Vorwänden für die Handhabung ihrer höchst merkwürdigen Justiz zu suchen. Und die Thorheiten, welche sie dabei begehen, würden unglaublich scheinen, wenn sie nicht thatsächlich wären. Der folgende Fall ist von den Vertretern der auswärtigen Mächte untersucht und bestätigt worden. Im Frühjahr 1893 glaubte Hassib Pascha, der Gouverneur von Musch, einige Beweise für die Unzufriedenheit der Armenier in Avzut und den benachbarten Dörfern nötig zu haben. Er sandte daher den Polizeihauptmann Reschid-Effendi ab, um nach Waffen zu suchen. Reschid ging los und stellte sorgfältige Nachforschungen an in den Häusern, auf den Dächern, unter der Erde – vergeblich. Es waren nirgends Feuerwaffen zu finden. Er kam zurück und berichtete, daß die Leute das Gesetz, das ihnen das Tragen von Waffen jeder Art verbot, sorgfältig beobachtet hätten. Aber Hassib Pascha ergrimmte: „Wie kannst du wagen, mir etwas zu berichten, wovon ich weiß, daß es nicht wahr ist? Geh’ sofort zurück und finde die Feuerwaffen. Wage es nicht, ohne dieselbigen zurückzukehren.“ Der Polizeihauptmann ritt hin und durchsuchte jeden Winkel und jede Ecke der Häuser und fand – nichts. Da ließ er den Aeltesten des Dorfes zu sich kommen und sagte: „Ich bin hierher geschickt, um die hier versteckten Feuerwaffen ausfindig zu machen. Sage mir, wo sie sind.“ „Aber es sind keine da.“ „Sie müssen da sein.“ „Ich versichere dich, du bist im Irrtum.“ Gut, so höre: Ich muß Waffen hier finden, ob welche da sind oder nicht, und darf nicht ohne sie zurückkommen. Also, wenn ihr mir nicht Waffen ausliefert, werde ich mich und meine Leute bei euch einquartieren.“ Da dies ungefähr soviel hieß als: „ich werde euch ausplündern lassen“, so war der Aelteste in Verlegenheit. „Was sollen wir thun?“ fragte er, „wir haben keine Waffen“. „Dann beschafft sie euch, stehlt sie, kauft sie, wie ihr wollt, aber herschaffen müßt ihr sie.“ Also wurden zwei oder drei Leute nach dem nächsten Kurdendorfe geschickt. Dort kauften sie 3 Karren voll alte Dolche, rostige Schwerter und Feuersteingewehre und lieferten alles pflichtschuldigst an Reschid aus. Damit kehrte dieser triumphierend zum Gouverneur von Musch zurück. Als Hassib Pascha die Waffen in Augenschein nahm, freute er sich gar sehr und sagte: „Du siehst jetzt, daß ich recht hatte. Ich sagte

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/181&oldid=- (Version vom 31.7.2018)