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über die Vorgänge in Armenien Ausdruck zu geben und die ehrerbietige Bitte auszusprechen. Se. Majestät wolle die Hilfsbestrebungen deutscher Christen in Armenien unter seinen ausdrücklichen mächtigen Schutz nehmen, damit wenigstens die christliche Barmherzigkeit an den Elenden ungestört ihres Amtes walten kann.“

4. Die rheinische Provinzialsynode.

Die rheinische Provinzialsynode hat zu den traurigen Vorgängen in Armenien in folgender Kundgebung Stellung genommen:

„Die 23. Rheinische Provinzialsynode giebt, eingedenk des apostolischen Wortes „So ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit“ (1. Kor. 12, 26), ihrem größten Schmerze, aber zugleich auch ihrer tiefsten Entrüstung Ausdruck über die unmenschlichen, aller Beschreibung spottenden Verfolgungen, denen nach glaubhaften Berichten die Christen Armeniens von seiten der Türken ausgesetzt sind. Ein christliches Brudervolk ist unter die Mörder gefallen. Wir dürfen und wollen nicht als Priester und Levit an ihm vorübergehen. Wir wollen thun, was unseres Amtes ist, wollen in fürbittender Liebe unsere Arme zum Himmel erheben und den Gott aller Barmherzigkeit aurufen, daß Er in Gnaden darein schauen und dem grausamen Morden wehren möge, wollen aber auch in teilnehmender Liebe unsere Hände aufthun, um den unsäglichen Jammer stillen zu helfen, welchem die ungezählten Scharen von Witwen und Waisen zu erliegen drohen.

Ursache und Ziel dieser furchtbaren Heimsuchung sind vor unseren Augen verborgen. Wir sind nicht berufen und nicht fähig, das etwaige Maß politischer Verschuldung zu untersuchen und festzustellen, welches diesen wahrhaft neronischen Gräueln vorausgegangen sein mag. Wir stimmen angesichts der bangen Frage „Ach Herr, warum?“ in das demütige Bekenntnis des Apostels ein: Wie gar unbegreiflich sind Gottes Gerichte und unerforschlich Seine Wege! Aber trotz alledem bekennen wir es mit demjenigen Freimut, der Christen ziemt, daß wie eine Schmach auf unserm Gewissen die Unthätigkeit und Unfähigkeit der vereinigten christlichen Mächte brennt, welche dem seit Jahrhunderten geknechteten und zertretenen Volke weder den einfachsten Schutz für Leib und Leben, Hab und Gut, Weib und Kind haben sicherstellen können. Zugleich dürfen wir Gottes Gnade rühmen, welche sich mitten in der Not an den Verfolgten so herrlich erwiesen hat: Der Zeugenmut der ersten Christenheit ist erwacht und an ihrer vielen, welche das

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/262&oldid=- (Version vom 31.7.2018)