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schilderte Redner die kleinlichen Chikanen, denen selbst die christlichen Missionare seitens der türkischen Behörden ausgesetzt seien. Viel schlimmer und planmäßiger sei die Bedrückung des armenischen Volkes durch die türkischen Beamten, die auf die völlige Ausrottung desselben hinarbeiteten und in steuerlicher Beziehung die unglaublichsten Erpressungen verübten: statt des Zehnten werde mehr als die Hälfte der Ernte genommen und der übrige Teil meist noch vernichtet. (Hört, hört!) Jetzt sei zu dieser Unterdrückung noch die grausame Christenverfolgung getreten, der nach zuverlässigen Mitteilungen schon über 200 000 Menschen zum Opfer gefallen seien. (Große Bewegung.) Redner schilderte sodann unter steigender Entrüstung der Versammlung einzelne Fälle geradezu teuflischer Grausamkeit der türkischen Henker. Dazu werde alles, was den Christen heilig und teuer sei, mit unsäglichem Hohn und Spott überschüttet. Das Schlimmste aber sei, daß man sich nicht gescheut habe, die Christen mit Gewalt zur Annahme des Islam zu zwingen. (Pfui!) Leider seien nicht alle Christen dieser Versuchung gegenüber standhaft geblieben, Hunderte von Dörfern seien auf diese Weise zum Islam gepreßt worden. Aber nicht genug damit: in einzelnen Fällen habe man die Armen sofort nach ihrer gewaltsamen „Bekehrung“ niedergemetzelt, damit sie nicht wieder vom Islam abfielen. (Hört, hört!) Um die Schrecken noch zu erhöhen, sei jetzt auch noch in Armenien infolge der Verwüstungen des Landes und der Vernichtung der Lebensmittel durch die Türken eine gräßliche Hungersnot ausgebrochen und fordere weitere zahllose Opfer. Und das alles unter stillschweigender Billigung der türkischen Behörden! (Hört, hört!) Sei doch die Klage allgemein, daß gerade die türkischen Offiziere und Soldaten sich bei den Greuelthaten am meisten hervorgethan und nur wenige höhere türkische Beamte eine Ausnahme von dieser Regel gemacht hätten! Und daß die Greuelthaten sich bis zum heutigen Tage fortsetzten, zeige eine heute eingelaufene Nachricht aus Trapezunt. (Hört, hört!) Angesichts solcher Zustände wagten es türkische Beamten, die armenische Bevölkerung zu „Dankestelegrammen“ an den Sultan für den gewährten „Schutz“ zu zwingen! (Hört, hört!) Solchen unwiderlegten Berichten gegenüber wage es eine gewisse Presse (Aus der Versammlung heraus wird mehrfach gerufen: „Kölnische Zeitung“!), alle Schuld an den Greuelthaten den Armeniern beizumessen und die türkischen Grausamkeiten

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/268&oldid=- (Version vom 31.7.2018)