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zu vertreten hat, kommt hierbei zunächst nicht in Betracht. Aber mit Bezug auf Rußland, England und Frankreich hat sich der Vorwurf in der allgemeinen Meinung festgesetzt, daß bei diesen Mächten bisher der Realismus ihrer Interessen stärker war, als der Idealismus christlicher Gesinnung, ihre Selbstsucht mächtiger als ihre Humanität. Es handelt sich um die Wahrung der Menschenrechte! Es handelt sich um die Zusammengehörigkeit der Gesellschaft! Es handelt sich um den Bestand, die Bedeutung und die Macht der christlichen Weltordnung! Es handelt sich um die Begeisterung für die wichtigsten Güter der Menschheit! (Sehr wahr!) Nach der Lehre Muhammeds haben nur seine Anhänger Existenzberechtigung; wer den Propheten nicht verehrt, muß von der Erde vertilgt werden. Wer aber im Kampf, mit Feuer und Schwert bewaffnet, gegen die Christen fällt, dem ist das Paradies sicher. Das Schwert, gegen den Christen gekehrt, ist der Schlüssel des Himmels. Dieses geistige Erbe des Islam liegt heute in den Händen der Türken, und es kann keine Diplomatie darüber hinwegtäuschen, daß dieses geistige Erbe des Islam bei den Greuelscenen in Konstantinopel mitgewirkt hat und die Knüttelmänner in Konstantinopel zum wüthenden bestialischen Hinschlachten der Christen entflammt hat. Der Islam will keine Menschenrechte für die Christen, aber wir wollen sie. (Sehr richtig!) Der Islam will keine christliche, gesellschaftliche Ordnung, aber wir wollen sie. Das Fundament der Gesittung und Wohlfahrt ist das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit vom Bruder zum Bruder, vom Nachbar zum Nachbar, von Gemeinde zu Gemeinde und von Volk zu Volk. Der Egoismus, der nur an sich selber denkt, so sagt mit Recht ein Philosoph zur Zeit des untergehenden Heidentums, ist tierisch und dämonisch, dämonisch in seinem Stolz, bestialisch in seinen Folgen. Würde das Bewußtsein der gesellschaftlichen Zusammengehörigkeit und der gegenseitigen Verpflichtung aus unserer Mitte schwinden, dann würde in konsequenter Ausgestaltung der Selbstsucht auch in unserer Mitte ein moderner Islam sich erheben, der mit Auflösung der Gesellschaft all unsere Errungenschaften der Kultur in den Staub tritt. Die Selbstsucht, welche uns heute den Armeniern entfremden würde, würde uns morgen untereinander entzweien. Für die Wahrung der Menschenrechte, für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, für die Pflege des Bewußtseins gegenseitiger Verpflichtung einzutreten, ist der Männer Pflicht und Stolz.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/272&oldid=- (Version vom 31.7.2018)