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abgeschlossen. Aber wer zählt die Hekatomben von Schändungen und Entehrungen, zählt die Thränen der Tausende und Abertausende, die in die Berge geschleppt, in die Harems verkauft, auf dem Sklavenmarkt feilgeboten oder nach Befriedigung der Lüste in irgend einem Winkel erschlagen und verscharrt wurden?

Soll ich einen Begriff geben von dem Maß von Schande und Entwürdigung, dem Tausende von Mädchen und Frauen auch heute noch tagtäglich preisgegeben sind?

Jener Schurke, Hadji Begos, der sich rühmte, ein Hundert von Armeniern mit eigener Hand umgebracht zu haben, er brachte es auch fertig, ein Christenmädchen nackt auszuziehen und, von allem entblößt, durch die Straßen der Stadt zu jagen. Der Pöbel von Cäsarea, der 30 Häuser von Armeniern mit ihren Insassen verbrannte, nahm auch teil an dem saubern Geschäft, das Frauenbad der Stadt zur Stunde des Bades zu stürmen. Und welchen Empfang fanden die dreißig Frauen von Koschmat, die völlig entkleidet über die Berge irrten, bis sie nach Shinag gerieten, und den Soldaten der Kaserne in die Hände fielen? Doch das ist nichts Besonderes. Kein Massacre, ohne daß nicht dem Morden der Männer das Schänden der Frauen und Mädchen auf dem Fuße folgte; keine Plünderung, ohne daß Frauen und Mädchen feilgeboten, weggeschleppt, gegen Pferde und Esel als Tauschware verhandelt, oder auf den Sklavenmarkt gebracht wurden. Keine Einquartierung zum Schutz (?) oder Mord der Bewohner in ein Dorf gesandt, ohne daß nicht Christenmädchen von den Aghas oder Offizieren nächteweis an die Zaptiehs und Soldaten verteilt wurden.

In den eigenen Häusern nicht sicher, unter den Augen der Männer, die man an die Thürpfosten bindet, geschändet, oder, auch des ohnmächtigsten Schutzes beraubt, von Haus zu Haus gejagt, bis sie der Entehrung anheimfallen, das ist das Schicksal eurer Schwestern in Armenien, ihr Frauen von Deutschland! Welche wollt ihr mehr beklagen, die verwitwet oder verwaist, in irgend einer Ecke ihrer zertrümmerten Häuser, nur notdürftig bekleidet, auf Lumpen kauern, zitternd vor jedem Schritt eines Mannes, der Türke oder Kurde, des Weges kommt, ins Haus eindringt, um sie vor den Augen ihrer Kinder und Geschwister zu schänden, oder jene andern, die, vielleicht durch Gestalt oder Schönheit ausgezeichnet, das Wohlgefallen eines türkischen Agha fanden, unter Geschrei und Thränen in seinen Harem geschleppt

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)