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danken ist, daß einigen schwer belasteten Beamten im Botschafterbericht noch ein gutes Zeugnis ausgestellt wird – traten sie später ganz ungeniert hervor und nahmen die Leitung der Massacres selbst in die Hand. Man hat es in den seltensten Fällen, wie etwa in Sivas, wo man einigen vornehmen Türken die Fenster einwerfen ließ, für nötig gehalten, da keinerlei Provokationen vonseiten der Armenier Vorlagen, solche herbeizuführen. Man begnügte sich, falsche Gerüchte auszusprengen, die zwar durch ihre stereotype Wiederholung und lächerliche Unwahrscheinlichkeit keinen Glauben finden konnten, aber einen Vorwand hergaben, gegen die Armenier scharf vorzugehen, Arretierungen von Leuten vorzunehmen, die man zuvor aus dem Wege schaffen wollte, und die Entwaffnung der Christen durch kategorische Maßregeln zu bewirken. Die geradezu tolle Behauptung, die in verschiedenen Städten ausgesprengt wurde, die Armenier hätten während des Freitagsgebetes in die Moscheen geschossen, erklärt sich auf sehr einfache Weise dadurch, daß von den Muhammedanern selbst in den Moscheen, wo sie von den Mollahs aufgereizt wurden, Schüsse gelöst worden sind, um solchen Gerüchten einen Anhalt zu geben. In der Regel fand auch der Ausbruch des Massacres unmittelbar nach dem Freitagsgebet statt, wenn die Armenier ruhig und keines Ueberfalls gewärtig in ihren Läden im Bazar saßen. Das Maß von List und Perfidie, welches von den Behörden angewendet wurde, um die Armenier, welche sich meist nach der ersten Panik in ihre Quartiere zurückgezogen und ihre Läden und Magazine geschlossen hatten, zur Wiederaufnahme der Geschäfte und Oeffnung ihrer Läden zu bewegen, übersteigt an Niedertracht oft noch den brutalen Mord. Erst wenn man absolut sicher war, die Armenier völlig unvorbereitet und wehrlos überfallen zu können, wurde das längst erwartete Signal zum Angriff gegeben, oft unmittelbar nachdem die Armenier durch das Drängen und die heuchlerischen Vorspiegelungen der Regierungs-Beamten überlistet, das Geschäft wieder aufgenommen hatten. Zum Tag für das Massacre wurde gern ein Markttag gewählt, damit das hereingekommene türkische Landvolk sich an der Plünderung beteiligen konnte; im übrigen waren die umwohnenden Kurden- und Tscherkessen-Stämme rechtzeitig instruiert worden.

Um die Gleichzeitigkeit des Angriffs an verschiedenen Punkten des Bazars und der Christen-Quartiere zu ermöglichen, wurde in einer Reihe von Städten, so in Trapezunt, Bitlis, Gumuschhane,

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)