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Vorwort.

Eine Reise durch Anatolien und Syrien führte mich im Mai dieses Jahres auch durch zwei der Provinzen, die in den vorhergehenden Monaten durch die armenischen Unruhen und Blutbäder betroffen waren. Auf einem mehrwöchentlichen Ritt durch das immer noch unsichere Land drängte sich mir im Verkehr mit der türkischen Land- und Stadtbevölkerung in Bezug auf die Beurteilung der „armenischen Frage“ mehr und mehr eine Ueberzeugung auf, die mit der in Deutschland, auch von der Presse, fast allgemein vertretenen Anschauung im Widerspruch steht. Auf der ganzen Reise durch Anatolien bin ich keinem Muhammedaner begegnet, der nicht in seinem Urteil über die Ereignisse der letzten Monate von der selbstverständlichen Voraussetzung ausging, daß die Niedermetzelung und Ausplünderung des armenischen Volkes von der Regierung angeordnet sei und dem Willen des Sultans entspreche. Die türkische Landbevölkerung sprach überdies ganz offen aus: die Mollahs hätten in den Moscheen gesagt, daß der Scheikh ül Islam, das geistliche Oberhaupt der muhammedanischen Welt, die Ausrottung der Armenier befohlen habe. Da die Behörden, wenigstens in den Städten, von vornherein nur eine begrenzte Frist von mehreren Stunden oder Tagen für die Massacres und die Plünderung frei gegeben und dann Einhalt geboten hatten, war der türkischen Bevölkerung bei der ganzen

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)