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viele. Von den Folterqualen habe ich gerade diejenigen erwähnt, die mir in die Feder kamen, es wurden jedoch sowohl gegen Jünglinge als auch gegen ältere Männer so unerhörte Mittel angewendet, die zu beschreiben die Feder sich sträubt. Diese tierischen Entehrungen wurden auf Befehl der Beamten durch die im Gefängnis befindlichen türkischen Mörder und Räuber ausgeführt. Gerade die Weihnachtstage und die Neujahrsnacht wurden mit solchen barbarischen Martern ausgefüllt. Da dem Gefängnis immer neue Scharen Verhafteter zugeführt wurden, mußten selbst die verpesteten Abtritte als Schlafstätten dienen und die Gefängnishöfe trotz des Winterfrostes als Aufenthaltsort für die an die Fenster geketteten Ankömmlinge.

Jeder Gefangene wurde gezwungen, alles, was er bei sich hatte und seine Lage hätte erträglicher machen können, herzugeben. Mehrere von den Verhafteten lagen in den Kohlenkammern; die am Tag gekaufte Kohle wurde auf sie geschüttet, worauf dann noch ein Wasserguß kam. Wohlhabende junge Leute und angesehene Kaufleute wurden auf diese Weise so entstellt, daß sie wie Gespenster aussahen und schmutzig wurden wie die Schweine.

Ich zähle die Namen derjenigen Gefangenen auf, die den größten Martern unterzogen wurden:

1. Name. Ort. 40 Jahre alt, Lehrer. Um 7 Uhr abends waren zwei Kaufleute mit dreißig bewaffneten Gendarmen gekommen, um unter dem Vorwande der Haussuchung alle seine Sachen, Kisten und Kasten kurz und klein zu schlagen, seine Schriften und Bücher mitzunehmen und ihn selbst ins Gefängnis zu werfen. 48 Stunden läßt man ihn hungern und dursten, sechs Tage auf nackter, feuchter Erde liegen, wobei mit der Bastonnade nicht gespart wurde.

2. Name. Ort. 41 Jahre alt. Nach einer wilden Prügelei läßt man ihn sich in Schmutz setzen und schüttet ihm große Töpfe kalten Wassers über den Kopf. – Es war Winter. – Dann rupft man ihm die eine Hälfte seines Schnurrbartes aus, und, nachdem man ihm die Arme festgebunden, hängt man ihn, den Kopf nach unten, auf. Die nun weiter erfolgten Prozeduren lassen sich nicht beschreiben. Nur soviel sei angedeutet, daß sich mit den Entleerungen dieses Gefangenen andere Gefangene auf die ekelhafteste Weise besudeln mußten und zuletzt mit einem glühenden Eisenstäbchen nach Art einer Steinoperation eine entsetzliche Tortur an dem fast schon zu Tode gequälten

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/96&oldid=- (Version vom 31.7.2018)