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Leinenbluse. Ihre Haare waren dunkelblond und dicht, die Augen hell und groß, die Gesichtszüge aber sahen nun im gelblichen Licht des zweiarmigen Deckenlüsters noch verblühter aus als im Dämmerschein der Straße. Plötzlich blickte sie zu ihm auf, und einfach, beinahe trocken, sagte sie: „Sie sollen nicht schlecht von mir denken, aber ich bin wirklich so allein.“ Ergriffen trat er näher zu ihr hin, legte die Hände um ihre Wangen und küßte sie auf den Mund.

Bald nach Mitternacht, zum Fortgehen bereit, warf sie einen Blick nach dem gedeckten Tisch zurück, wo noch Reste des Abendessens standen, und sagte: „Darum ist es eigentlich schade.“ – „Es wird morgen schon für andere aufgewärmt werden“, meinte er scherzend. Sie darauf: „Das könnte man wohl selbst besorgen, da doch alles bezahlt ist.“ Und auf seinen befremdeten Blick hin: „Hast du etwas dagegen?“ Er in einiger Verlegenheit: „Das wäre doch wirklich nicht nötig, mein Kind.“ Und er fügte hinzu: „Verzeih, daß ich davon spreche, aber wenn ich dir – zur Verfügung stehen darf …“ Sie unterbrach ihn mit einer entschiedenen Handbewegung, doch ohne die Beleidigte zu spielen. „Danke“, sagte sie, und mit einem müden Lächeln: „Das sollst du doch nicht von mir glauben.“ Sie öffnete ihre Notenrolle, die außer einigen ziemlich zerrissenen Notenheften

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 054. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)