Seite:Arthur Schnitzler – Flucht in die Finsternis – 060.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ein Verbrechen vorlag, so war der Leichnam ohne weitere Untersuchung ins Grab gesenkt worden.

Die Ehe hatte innerhalb ihrer ganzen dreijährigen Dauer durchaus als glücklich gegolten, und Robert hatte das liebevolle, sanfte, etwas bequeme Geschöpf stets, nicht nur vor den Leuten, sondern auch daheim, wenn nicht mit Zärtlichkeit, doch mit ritterlicher Galanterie behandelt. Nur er selbst wußte, wie schwer er von allem Anbeginn grade unter der Sanftmut und Gutherzigkeit seiner Frau gelitten hatte; wie ihre zuweilen törichten Bemerkungen, wie ihr Schweigen, wie ihre Art, mit gerundeten Lippen seine Küsse hinzunehmen und zu erwarten, wie schon die einfache Tatsache ihres Vorhandenseins ihn oft mit einer hilflosen, mühselig verhehlten, bösen Ungeduld erfüllt hatte. Doch das Schlimmste für ihn war ihr Klavierspiel gewesen. Ohne zureichende Begabung, aber mit der ihr eigenen Beharrlichkeit hatte sie die Gewohnheit ihrer Mädchenjahre beibehalten, täglich eine Stunde lang zu üben; und ihre Art, Mozartsche und Beethovensche Sonaten mit kindischen, dicken Fingern herunterzuspielen, hatte den Gatten, während er nach dem Abendessen rauchend und lesend im Nebenzimmer saß, manchmal in einen Zustand wahrer Verzweiflung versetzt. Wie oft, wenn aufflammende Begier nach anderen Frauen ihn zu neuen Abenteuern lockte, hatte er sich gegen den stillen

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 060. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_060.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)