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findet. Auch Marianne ergeht es nicht anders. Und sähest du ihn öfter, so würde es dir gewiß nicht entgangen sein, wie sein Wesen im Laufe des letzten Jahres sich getrübt und verdüstert hat.“

„Verdüstert“, wiederholte Leinbach mit wichtiger Miene. „Das dürfte stimmen. Natürlich verdüstert sich sein Wesen. Wie könnte es auch anders sein. Auch meines verdüstert sich, wenn auch offenbar auf eine andere, minder augenfällige Weise, als es bei Otto der Fall ist. Vielleicht auch merkst du es besser an ihm, weil er dir näher steht als ich. Aber glaube mir, wenn du jemals einem Arzt begegnest, dessen Wesen in einem gewissen Alter, sagen wir zwischen vierzig und fünfzig, licht bleibt, dann kann er nur ein Stümper oder ein Wicht gewesen sein. Bedenke doch nur“, und Leinbachs Stimme bebte ein wenig, „wir sind ja in einem gewissen Sinne dazu bestimmt, die Leiden aller der Menschen auf uns zu nehmen, die uns ihre Leiden klagen, auch wenn es uns nicht direkt zum Bewußtsein kommt, – ja, das ist dann vielleicht noch schlimmer. Die Sentimentalen haben es freilich besser; die werden mit jedem Fall im einzelnen fertig, durch Rührung sozusagen. Aber bei unsereinem, bei den Starken, da ballt es sich zusammen. Natürlich merkt man es im allgemeinen nicht, sonst würden wir ein wahrhaft tragisches Schauspiel darbieten. Nur die Leute, die uns lieben,

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)