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vor vielen Jahren auf der Hochzeitsreise mit seiner Gattin umhergewandelt war. Aber keinerlei Sehnsucht wurde wach in ihm, weder nach jener längst Dahingeschwundenen noch nach der gegenwärtig Geliebten. Und wenn er jetzt überhaupt jemanden in seine Nähe, ja an seine Seite wünschte, so war es, wie er mit Befremden inne wurde, niemand anders als jene ärmlich verblühende Klavierlehrerin, die er vergessen zu haben glaubte. Und er empfand, daß von allen Menschen, die lebten, sie vielleicht das Wesen war, das am allerstärksten zu ihm gehörte und dessen Schicksal mit dem seinigen geheimnisvoll zusammenstimmte; und daß ihre beiden Daseinslinien sich einmal hatten kreuzen müssen, um dann sofort wieder für alle Zeiten auseinanderzustreben, das schien ihm einen verborgenen Sinn, eine in die Zukunft weisende Bedeutung in sich zu bergen. Und das Bild der blassen Frau begann allmählich solche Lebendigkeit zu gewinnen, daß ihm ward, als sähe er sie draußen vor den Fenstern der Wirtsstube leibhaftig vorübergehen und langsam in den entlaubten Auen verschwinden. Er fragte sich: War dies eine Warnung, eine Mahnung?

Daß die Erscheinung irgend etwas zu bedeuten hatte, wenn sie auch nur aus seiner eigenen Seele in den Nebel dieses Tages emporgestiegen war, daran konnte er nicht zweifeln. Aber wohin deutete sie?

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Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_126.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)