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glänzenderen Gewande einen neuen Namen erhalten hat. Dann gab es wohl zur höheren Feier des Tages statt des gewöhnlichen Wickbolder oder Schieferdecker Bieres drei allerdings damals auch schon als Überreste einer dahingegangenen Zeit geltende, und jetzt wohl, wenigstens in ihren Namen ganz verschollene Getränke: „Flibb“, d. h. Warmbier mit Rum, „Hoppelpoppel“ (Eiergrog) und „Glühwein“ – entsetzlichen Andenkens. Die ersten beiden Getränke schmeckten vorzüglich; aber die Nachwirkung am andern Morgen war eine umso energischere und machte das Bedürfnis nach dem heilsamen Löbenichtschen desto dringender.

Ein andres, von uns ebenso sehr geschätztes Erfrischungsmittel bei derartigen „Verstimmungen“ waren die, weit über Königsberg hinaus mit Recht berühmten köstlichen Würstchen, die Meister Löbel in der Koggenstraße in unübertroffener Qualität herstellte. Ein Paar davon kostete einen ganzen Dittchen (10 Pfennige) und wurde uns ohne weiteres auf dem schneeweiß gescheuerten Ladentisch von Fräulein Löbel, die wir dafür mit den zartesten Schmeicheleien regalierten, auf einem Blättchen Papier serviert und zugleich von ihr in vier Stücke zerschnitten. Messer und Gabel, wie Servietten galten dort als Luxus; wir griffen einfach mit den Fingern zu, an denen der würzige Fettsaft herabfloß, so daß wir sie uns im wahrsten Sinne des Wortes danach leckten. Der Senftopf stand auf dem Tisch gratis zur Verfügung; für eine Semmel dazu zahlten wir noch einen halben Kupfergroschen (zwei Pfennig) und verließen das Lokal mit dem stolzen Bewußtsein, höchst opulent gefrühstückt zu haben.


[69] Es versteht sich von selbst, daß die, wenn auch bei uns sehr beliebten Getränke Flibb und Hoppelpoppel an den Stiftungsfesten, die wir auch damals schon durch einen mehrtägigen ländlichen Ausflug feierten, beim Kommers dem der Würde des Festes mehr entsprechenden edeln Rebensaft (Glühwein) weichen mußten. Zum schäumenden Bierkruge griffen wir dann erst wieder am Katertage. Dieser Tag war zugleich dem, teils improvisierten, teils schon in Königsberg vorbereiteten höhern Ulk geweiht, dessen Arrangement meistens mir übertragen wurde, und wobei ich zugleich die Hauptrolle spielte. Welche Erfolge ich damit errungen, berichten die Annalen jener Jahre, und die Bescheidenheit verbietet es mir, näher darauf einzugehn. Nur eines, des großartigsten Triumphes, den ich je gefeiert, kann ich zu erwähnen doch nicht unterlassen, nämlich des als falsche Pepita, als welche ich, im vollständigen Kostüm einer Balletttänzerin, am 15. Juni 1859 – horribile dictu! – in der altehrwürdigen Klosterkirchenruine zu Cadinen, die vom Beifallsgebrüll meines berauschten Publikums erdröhnte, debütierte. Die da unten seit Jahrhunderten friedlich schlummernden Mönche mögen sich ob dieses Frevels in ihren Särgen umgedreht haben! Und ob wohl der jetzige erlauchte Besitzer Cadinens eine Ahnung von dieser Profanation der geweihten Räume haben mag?! – –

Doch es sollte noch besser kommen! Als wir andern Tages die Heimfahrt über das Haff antraten, und unser Dampfer auf Pillau steuerte, um dort Station zu machen, schallte uns von der Landungsbrücke Musik entgegen. Mehrere unsrer in Pillau lebenden Philister, die schon am Abend vorher von Cadinen dorthin zurückgekehrt waren, hatten sich mit einer umherziehenden Kapelle dort aufgestellt, um uns zu begrüßen. Kaum hatten wir dies begriffen, so

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 68–69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/10&oldid=- (Version vom 17.9.2022)