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im geringsten. Zunächst säuberten wir uns im Kruge vor der Stadt, wo wir Halt gemacht hatten, vom Reisestaube und machten uns nach Kräften fein, um in der Apotheke des Städtchens den Eltern unsers Georg Steppuhn (Steppke; später Arzt in Dt. Eylau) einen Besuch abzustatten und den Gruß zu bestellen, den ihr lieber Sohn uns für sie mitgegeben hatte, natürlich mit dem Zusatz, er bäte dringend um das nötige Geld zur Heimreise. Heinrich war den Herrschaften als Schulkamerad ihres Sohnes schon von früher bekannt und wurde von ihnen daher mit Herzlichkeit begrüßt; aber auch wir beiden Begleiter fanden einen sehr freundlichen Empfang, wir alle wurden nicht nur zum Frühstück, sondern auch zum Mittagessen eingeladen, und so verbrachten wir in diesem gastlichen Hause einige sehr angenehme Stunden.

Der Tag sollte uns aber noch Schöneres, und für unsre Reise eine Episode bringen, die eigentlich deren Glanzpunkt bildete. Als wir nach Tisch noch bei einem Gläschen Wein beisammen saßen, richtete der alte Steppke an Heinrich die Frage, ob er nicht mit uns den alten Kautz auf Hornsberg, einem Gute in der Nähe Liebemühls, besuchen wollte. Eben sei von dort ein Fuhrwerk in die Stadt gekommen, um den Arzt herauszuholen. Papa Steppke wußte nämlich, daß Heinrich, ebenfalls vom Gymnasium her, mit dem Sohne des alten Kautz befreundet und in Hornsberg öfter zum Besuch gewesen war. Diese Aufforderung klang ja sehr verlockend für uns; indes meinten Ollech und ich doch, daß es uns zu unbescheiden erscheine, so ohne weiteres ganz fremden Leuten ins Haus zu fallen. Herr Steppuhn jedoch, wie der mittlerweile auch in der Apotheke erschienene Arzt verscheuchten alle unsre Bedenken und versicherten uns, der alte Kautz, den ja auch [83] Heinrich als einen sehr jovialen, lebenslustigen Herren kannte, würde sich über unser Erscheinen höchlichst freuen. So stiegen wir denn wohlgemut zum „Doktor“ in den Wagen, Happy natürlich voran; denn sie betrachtete sich als vollständig gleichberechtigt, und es fiel ihr auf der ganzen Reise gar nicht ein, etwa neben dem Wagen herzulaufen.

Bald war das grünumlaubte Hornsberg erreicht, und als wir in den Gutshof rollten, saß der Besitzer, seine Pfeife rauchend, auf der großen Freitreppe des Herrenhauses, und unsre blauen Mützen erblickend, rief er uns schon von weitem entgegen: „Hurra! Ein ganzer Wagen voll Studenten! Das ist aber schön!“ Na, das war ja in der Tat ein uns sehr ermutigendes Willkommen, und als Heinrich uns dann vorstellte und dabei einige Redensarten, wie „Zudringlichkeit“ und „nicht übelnehmen“ vom Stapel ließ, schnitt ihm der alte Herr die Rede kurzweg mit den Worten ab: „Ach, was wollen Sie denn? Das war ja eine famose Idee von Ihnen, Ihre Kommilitonen mitzubringen. Nun bleibt Ihr hier, und vor drei Tagen lasse ich Euch nicht wieder fort.“

Und so geschah es denn auch. Wir blieben und führten in diesen drei Tagen dort ein wahrhaftes Schlaraffenleben. Der alte Kautz war Witwer, und zwei liebliche Töchter standen dem Haushalte vor, während sein Sohn, eben der Schulfreund Heinrichs, ihm bei der Landwirtschaft zur Seite stand. Die beiden jungen Damen walteten in aller Stille wie die guten Hausgeister und sorgten mit dankenswertestem Eifer dafür, daß wir zu jeder Mahlzeit (und es waren deren nicht wenige während des ganzen Tages) die auserlesensten ländlichen Delikatessen, wie man sie eben nur auf ostpreußischen Gütern den Gästen bietet, in reichster Fülle auf der Tafel fanden.

Empfohlene Zitierweise:
Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 82–83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/17&oldid=- (Version vom 17.9.2022)