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zu gewähren in der Lage war. Welcher flotte Masur beschränkte sich indes ängstlich auf das „Notwendigste“, und wo hörte dieser Begriff für ihn überhaupt auf! Unser „Emil“, – wie er ohne jede weitere nähere Bezeichnung in der ganzen Verbindung glattweg genannt wurde, – machte in dieser Beziehung wahrlich keine Ausnahme, befand sich vielmehr in ewigen Schwulitäten, infolge dessen meistens auch in verdrießlicher Stimmung, was uns andern dann Veranlassung zu mehr oder minder geistreichen Neckereien gab, die Emil indes mit stoischer Ruhe, höchstens mit einem wütenden Seitenblick auf den betreffenden Witzbold hinnahm.

Eines Tages nun erschien er mit einem besonders unheilverkündenden Gesicht am runden Tisch, setzte sich ohne Gruß zu uns und stützte den Kopf in die Hand. Natürlich tönte es von allen Seiten: „Emil, was ist Dir?“ „Emil, ist Dir etwas passiert?“ und dergleichen mehr. Emil achtete zunächst scheinbar nicht darauf; dann aber schlug er mit der Faust auf den Tisch, griff in seine Tasche und warf einem Nachbarn mit wütender Miene ein Briefkouvert zu, halblaut murmelnd: „Da! das habe ich eben von meinem Alten bekommen als Antwort auf einen Brief, in dem mein lieber Karl Heinrich es wunderbar verstanden hatte, meine augenblickliche Bedrängnis zu schildern und ihn mit beweglichen Worten um eine Geldsendung für den Sohn zu bitten. Statt dessen schickt er mir das!“

Und was zog nun der, der das Kouvert ergriffen hatte, daraus hervor? Einige bedruckte Blätter. Kaum hatte er hineingeblickt, als er in ein lautes Gelächter ausbrach, in das auch wir andern jubelnd einstimmten, als er mit erhobener Stimme vorzulesen begann. Es war nämlich – der berühmte Antwortbrief, den der alte Jobs an seinen auf der Universität [57] befindlichen Sohn Hieronymus Jobs gerichtet hatte, als dieser ihn, unter Aufzählung aller möglichen und unmöglichen „notwendigen“ Ausgaben, um eine erkleckliche Summe ersucht hatte!

Während der großen Ferien, die Emil und ich in Lötzen verlebten, hatte ich ihm die aus der Bibliothek meines verstorbenen Vaters stammende Jobsiade geliehen, die er mir aber nicht zurückgegeben hatte. So war sie nach unsrer Abreise nach Königsberg seinem Alten unter die Finger geraten; dieser hatte sie mit großem Interesse gelesen und war dann beim Empfang des Bittgesuches seines Emil auf den genialen Einfall gekommen, ihm statt jeder persönlichen Gegenäußerung die erwähnten Blätter zu schicken, die ihm auf den vorliegenden Fall, wie auf seinen Sohn im besondern, ausgezeichnet zu passen schienen.

Während nun bei jedem Verse, der aus des Vorlesers Munde tönte, unser Jubel immer größer wurde, saß Emil mit einem Gesichte da, als ob er die ganze Welt hätte vernichten mögen. Allmählich aber steckte die allgemeine Fröhlichkeit auch ihn an; er gewann ebenfalls der Sache die humoristische Seite ab, und eine vergnügte längere Kneiperei, zu der uns dieses köstliche Intermezzo anregte, und bei der wir auch auf das Wohlergehn seines geistreichen Vaters einen kräftigen Salamander rieben, ließen ihn bald alle seine Sorgen und Schmerzen vergessen. Schließlich wird er wohl auch Hilfe bei den verschiedenen Ehrenmännern gesucht und gefunden haben, die uns in derartigen Kalamitäten ihre Kasse bereitwillig zur Verfügung stellten, natürlich nur gegen genügende Sicherheit – und mehr als genügende Zinsen!

Da war zunächst der Biedermann mit dem bedeutungsvollen Namen Weinstock, der uns das Mangelnde gegen ein entsprechendes Pfandstück lieferte,

Empfohlene Zitierweise:
Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 56–57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/4&oldid=- (Version vom 14.9.2022)