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und dem wir mit Vorliebe unsere Betten, wenn wir in die Ferien reisten, „in Verwahrung“ gaben. Bei unsern andern Bankiers, Kleudgen, und wie die edeln Menschenfreunde sonst hießen, war die conditio sine qua non der Ehrenschein; auch zogen sie sich bei der Auszahlung des betreffenden Darlehns „der Kürze wegen“, wie sie sagten, die nicht zu bescheiden berechneten Zinsen gleich ab. An unsern, wenn auch stets hilfsbereiten lieben Kneipwirten, den alten Schuster, wandten wir uns aus einer gewissen Zurückhaltung nur in den dringendsten Fällen mit einem Pumpgesuch, obwohl er, oder vielmehr gerade deshalb, weil er niemals auch nur einen Pfennig Zinsen von uns nahm. Dagegen verlangte auch er durchaus den Ehrenschein. „Nicht um meinetwillen“, wie er sagte, „sondern um Ihretwillen, Herr Studiosus.“ Und das war gewiß ein sehr richtiges Prinzip bei ihm, wenn er uns jungen Leuten gegenüber den Ernst des gegebenen Wortes damit betonte. Dabei muß ich aber ausdrücklich hervorheben, daß keiner von uns in dieser Hinsicht leichtfertig dachte und handelte, und so ist mir auch aus meiner Zeit kein Fall eines mit diesem Punkt zusammenhängenden bedauerlichen Konfliktes erinnerlich.

Allerdings muß ich ebenso hervorheben, daß die Gefahr, in einen solchen zu geraten, nur selten zu befürchten war, weil unsre Ansprüche an die ganze Lebensführung wirklich bescheiden und bei allem leichten Sinn doch vernünftige waren. Denn wenn ich vorhin auch meinte, daß für einen flotten Masuren die Grenze zwischen dem Notwendigen und dem Überflüssigen etwas unbestimmt war, so fiel es uns doch niemals ein, in bezug auf unsere Kleidung, das ganze äußere Auftreten usw. einen Aufwand zu treiben, der mit unsern Mitteln, selbst mit dem uns zu Gebote stehenden Kredit nicht im Einklang stand. Wir [59] schlugen uns eben schlecht und recht durch. Der einzige Luxus, den sich außerdem nur diejenigen von uns gestatteten, die einen höheren Wechsel bezogen, war ein Schnurrock, eine nur den Königsberger Verbindungsstudenten eigentümliche, überaus kleidsame, allerdings wegen der reichen Stickerei und Verschnürung auch etwas kostspielige Tracht. Die verschiedenen Verbindungen trugen sie in verschiedenen Farben, die Silberlittauer von dunkelgrünem, die Balten von weißem, wir Masuren von blauem Tuch. Couleurstudenten in Schnürröcken gehörten damals zum Königsberger Straßenbilde; jetzt aber mag wohl dieses Kleidungsstück als nicht mehr zeitgemäß verschwunden sein, ebenso wie – leider! – auch der silberne Albertus, den seit dem historischen Wartburgfeste (1817) jeder Bürger der alma mater Albertina mit Stolz an seiner Mütze trug, auch die „Kamele“, die ja nur daran als Studenten zu erkennen waren. Andre Zeiten, andre Sitten! Ob es aber immer notwendig ist, die guten alten in die Rumpelkammer zu werfen?

Noch möchte ich im Anschluß an die Persönlichkeiten, mit denen wir in finanziellen Angelegenheiten zu tun hatten, einer gedenken, die ebenfalls Geschäfte mit uns machte, allerdings sehr harmloser Art. Es war dies der in allen Kneipen Königsbergs, besonders in den von Studenten besuchten, wohlbekannte alte Hausierer Jonas. Wenn er, was in der Woche mehrmals geschah, mit seinem um den Hals gehängten Warenkasten an unsern Tisch trat und seinen Spruch herzusagen begann: „Seife, Hosen …“, so fiel sofort der ganze Chorus ein: „Hosenträger, Hemdenknöpfe, Streichhölzer“ usw. bis er zu Ende war. Abgekauft wurde ihm stets etwas; ebenso aber erhielt er auch jedesmal, wenn er den Preis des betreffenden Gegenstandes nannte, die Erwiderung: „Jonas, Sie sind ein

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 58–59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/5&oldid=- (Version vom 17.9.2022)