Seite:Aus meiner goldnen Zeit 1857–60 (Vigouroux).pdf/8

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sich unter anderem auch darin, daß die Schauspieler, wenn sie in irgend einer Szene Wein oder Bier trinken sollten, niemals Gläser, sondern stets undurchsichtige Becher oder Krüge erhielten, in denen sich keine Spur von Stoff befand. Wenn uns nun in jener Kommersszene die scheinbar gefüllten Krüge gereicht wurden, so drehten wir sie, bevor wir sie an den Mund setzten, um, wobei natürlich kein Tropfen herausfloß, zum größten Gaudium des Publikums.

Wenn wir also sogar an der, den Musen geweihten Stätte unserer übermütigen Laune so den Zügel schießen ließen, so geschah dies, wie leicht zu denken, in zwei andern, weniger weihevollen Lokalen, in noch schrankenloserer Weise: in den Fleckbuden und in der Wolfschlucht. Die ersteren, diese nur Königsberg eigentümlichen Erfrischungslokale für Nachtschwärmer existieren ja wohl noch, wenn sie sich auch nicht mehr an denselben Stellen befinden mögen. Eine derselben, die von uns mit Vorliebe besucht wurde, lag in einer Seitengasse der Weißgerberstraße. Der Inhaber, allgemein der Fleck-Neumann genannt, ein origineller Kerl, lieferte das Königsberger Nationalgericht in besonders delikater Qualität und würzte es dabei mit derben, höchst drastischen Scherzen, ließ sich aber einen solchen auch von unserer Seite gefallen. Dasselbe tat auch das sonstige, wenn auch mitunter recht gemischte Publikum, das ebenfalls nach Kräften zu der allgemeinen Ulkerei beizutragen suchte. Gemütlichkeit und ungeheure Heiterkeit war dort die allgemeine Parole, und ich erinnere mich nicht, daß es zwischen uns und den andern Besuchern des Lokals jemals zu einem Streit gekommen wäre, selbst wenn die ausgelassene Stimmung den Höhepunkt erreicht hatte.

Nicht minder vergnügt, wie nächtlings in der Fleckbude, ging es an so manchem Vormittag in der [65] Wolfschlucht, in der wir Masuren einige Zeit eine „Ressource“ für uns etabliert hatten, zu, nur bemühten wir uns hier einen „feinern“ Ton anzuschlagen; denn hier führte ja Frauenhand das Regiment. Wer hätte zu jener Zeit auch außerhalb Königsbergs, in der ganzen Provinz nicht von der alten „Madam Fischer“ gehört, die bis in ihr hundertstes Lebensjahr ihre antediluvianische Kneipe innegehabt und so und so viele Generationen fröhlicher Musensöhne nacheinander in ihrem bescheidenen Häuschen bewirtet hatte, das, wie ich gehört zu haben glaube, nun auch längst vom Erdboden verschwunden ist. Doch nein, nicht vom Erdboden; es lag ja nicht auf demselben, sondern wirklich in einer Schlucht zwischen dem Mühlenberg und der Französischen Straße, trug also seinen Namen mit Recht. Für das alte Madamchen bedeutete dieser entlegene Winkel die Welt, und seit sie, noch in jungen Jahren Witwe geworden, seit einem halben Jahrhundert fast, hauste sie dort nur mit ihrem Töchterchen Karlinchen und einer ganzen Herde großer, schwarzer Katzen, die das Haus von Ratten und Mäusen freihalten mußten. Von dort war sie seitdem nie mehr herausgekommen, kannte nichts von den Veränderungen, die die Zeit unterdes mit ihrer Vaterstadt da oben hervorgerufen, und das, was sie davon etwa durch Hörensagen erfuhr, galt bei ihr als unsinnig und verderblich, und sie schalt weidlich darauf und ließ nur die alte Zeit und die früheren Zustände gelten. Mit besonderem Ingrimm ereiferte sie sich gegen das mittlerweile eingeführte bayrische Bier, von ihr verächtlich nur „Krahnkeaugenbier“ genannt, weil sie fest davon überzeugt war, es sei mit nux vomica gewürzt und daher giftig. Ganz empört war sie vollends über die „Polkamädchen“, womit sie die Kellnerinnen meinte, die in den modernen Kneipen die Gäste bedienten. Die Würstchen, „Kniestchen“ und

Empfohlene Zitierweise:
Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 64–65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/8&oldid=- (Version vom 17.9.2022)