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„Seehundchen“ der Wolfschlucht waren weit und breit berühmt. [Schwefelhölzchen waren hier unbekannt; der „Fidibus“ hat hier wohl sein letztes Domizil in Königsberg aufgeschlagen. Welche Anziehungskraft die Wolfschlucht besaß, beweist am besten der Besuch des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, später Kaiser Friedrich III., der, selbst ein Humorist ersten Ranges, alles, was ihm hier entgegentrat, mit Humor auffaßte und für die angenehm hier verlebte kurze Zeit Madamchen mit einem Händedruck dankte.] (K. H.) Sie selbst schänkte nur das von altersher in Königsberg gebraute und beliebte Löbenichtsche Bier aus, und zwar in bester Qualität, und dieses wirklich wohlschmeckende, kräftige und dabei doch nicht berauschende Getränk übte eine höchst wohltuende und erfrischende Wirkung auf verkaterte Köpfe und Mägen, daher wir an dem Tage nach größeren Kneipereien, besonders nach den offiziellen, mit Vorliebe die Wolfschlucht aufsuchten, um die matten Lebensgeister aufzufrischen. Madamchen selbst, die trotz ihrer Siebziger noch sehr rüstig und flink war, trug uns das Bier in steinernen Deckelkrügen zu. Denn die modernen Seidel waren ihr ebenfalls ein Greuel. Wenn wir dann meinten, sie sollte doch lieber ihr Töchterchen Karlinchen, – das beiläufig bemerkt, auch schon an die Fünfzig auf dem Rücken hatte –, mit diesem Geschäft betrauen, dann erwiderte Madamchen mit sittlicher Entrüstung: „Mein Tochterchen ist kein Polkamädchen, sondern ein anständiges Mädchen, die können die Herrchens man in Ruh lassen!“

Ganz besonders böse aber konnte Madam Fischern werden, wenn wir in unserer vergnügten Stimmung das schöne Lied anstimmten: „Und die Preußen faßten sich ein Herz“ usw. Sobald nun die ersten, ihr nur zu gut bekannten Unheil verkündenden Töne desselben erklangen, stürzte sie entsetzt herbei und bat flehentlich: „Nei, Herrchens, nei! Man nich das mit die [67] Preißen! Rujenieren Sie mir nich meine Krugchen!“ Sie wußte ja, was damit verbunden war, das taktmäßige Geklapp mit den zinnernen Deckeln, das ihren altehrwürdigen Bierkrügen Verderben drohte. Wir jedoch, zu unserer Schande muß ich es gestehen, fuhren ruhig fort bis zu Ende, trotz ihres Fluchens und Scheltens. Hinterher jedoch suchten wir sie durch allerlei süße Redensarten wieder zu begütigen, so daß ihr Zorn sich auch schnell wieder legte, und unser freundschaftliches Verhältnis wurde durch dergleichen kleine Aufregungen niemals dauernd getrübt.

Hochbeglückt fühlte sich Madam Fischern daher auch, als wir Masuren, Aktive und zahlreiche Philister, den Tag, an dem sie vor 50 Jahren in die Wolfschlucht eingezogen war, und von dem wir zufällig Kunde erhalten hatten, durch eine, von unserm Karl Heinrich arrangierte solenne Jubelfeier verherrlichten. Das altehrwürdige, verräucherte Kneipzimmer war mit Tannenguirlanden geschmückt, an der Decke prangte eine Tannenkrone mit 50 Wachskerzen, Reden wurden gehalten, Salamander auf Madamchens Wohl gerieben, und sie nahm alle diese Huldigungen, geschmückt mit ihrer Staatshaube, mit freudestrahlendem Gesicht entgegen und dankte uns tiefgerührt mit schlichten Worten.


Wie ich schon vorhin bemerkte, versammelten wir uns zum Katerfrühstück in der Wolfschlucht meistens nach unsern offiziellen Festlichkeiten, Fuchskommers, Konstitutionsfest usw., auf denen, wie natürlich, auch stets eine sehr fidele Stimmung herrschte, obwohl sie sich doch nur in bescheidenem Rahmen abspielten, in der Regel in dem schlichten Saal des Kneiphöfschen Remters in der Magisterstraße, der im Laufe der Zeit wohl auch mit einem modernen,

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 66–67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/9&oldid=- (Version vom 17.9.2022)