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Aphraates, Rabulas, Isaak von Ninive in der Übersetzung von Gustav Bickell: Ausgewählte Schriften der syrischen Kirchenväter (BKV Band 38)

zum Weibe nähme. Noch weit weniger konnte es jemals in irgend einem Falle mit seinem Vorwissen möglich werden, daß sich ein Mann unter was immer für einem Vorwande von seiner Gattin scheiden ließ; denn er gestattete nie, etwas dem Willen Gottes Widerstreitendes zu begehen, wenn er davon benachrichtigt wurde.[1] Wie oft aber genügte schon die bloße schreckende Erinnerung an seinen göttlichen Eifer, um dem schändlichen Antrieb zur Begehung böser Handlungen zuvorzukommen und die Ausführung vieler Sünden zu verhindern! Welcher Elende hätte es wohl zu seiner Zeit gewagt, offen seinen schamlosen Blick zu erheben, um die Schönheit des Angesichtes eines sittsamen Frauenzimmers zu betrachten? Denn die bloße Erinnerung an die Heiligkeit dieses Ehrwürdigen hätte die Erde unter ihm und den Himmel über ihm empört und seine Sinnlichkeit, wie durch eine sanfte Abkühlung, zur Ruhe und zum Schweigen gebracht. Oder welcher von den Jüngern Christi hätte sich wohl mit feinen und eleganten Gewändern bekleidet, um dadurch geehrt sich auf den Straßen der Stadt prahlerisch zu zeigen, ohne sich vor sich selbst zu schämen und seine Neigung zum Stolz zu verachten, wenn er sah, in welch ärmlicher Kleidung jener Ehrwürdige an der Spitze des Volkes stand? Oder welcher Unmäßige, der argen Herrschaft der Eßgier Unterworfene wäre nicht des Tisches jenes Heiligen eingedenk gewesen, welcher nie auch nur seinen Hunger stillte, und wäre dann noch geneigt geblieben, gierig zu essen oder unmäßig zu trinken? Denn Manche besserte die Furcht vor ihm, Andere bewahrte der Wunsch, sein Wohlgefallen zu erwerben. Ferner wer von den Geldgierigen, die ihr Leben in der Sorge um Vermögenserwerb nutzlos vergeuden, konnte wohl aufmerksam jene göttlichen Zinsen


  1. Diese Stelle liefert einen neuen, wichtigen Beweis dafür, daß nach Lehre der alten Kirche das Band der Ehe in keinem Falle getrennt werden durfte, und daß die laxe Praxis des gegenwärtigen Orients erst in Folge des Schismas aufgekommen ist.
Empfohlene Zitierweise:
Aphraates, Rabulas, Isaak von Ninive in der Übersetzung von Gustav Bickell: Ausgewählte Schriften der syrischen Kirchenväter (BKV Band 38). Jos. Koesel’sche Buchhandlung, Kempten 1874, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BKV_Erste_Ausgabe_Band_38_193.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)