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„Hier ist sie!“ ruft es roh von Mund zu Mund,

„Das scheue Bräutchen kann nicht mehr entspringen!“
Und fassen will sie schon der wilde Hauf,
Ein Donnerschlag – da springt die Felswand auf,
Ottilie fliegt hinein, und wie zum Spotte

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Schließt sich der Felsen wieder vor der Rotte.


Und an dem Orte, wo die Wand sich schloß,
Entspringt dem Felsen murmelnd eine Quelle;
Die Männer schrei’n: „Des Herren Macht ist groß!“
Und fallen betend nieder an der Stelle.

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Ein Jeder wäscht die trüben Augen klar,

Und fühlt sich umgewandelt wunderbar;
Bald ist der Quell gefaßt, der Platz gelichtet,
Und ein Altar der Heiligen errichtet. –

So zog vorbei die alte Zeit an mir

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Und strahlte durch die Träume meiner Kindheit,

Wohl mancher Pilger wusch die Augen hier,
Und heilte sich damit von seiner Blindheit;[1]
Dem echten Glauben wird der Blick erhellt,
Er sieht das Licht in dunkler Sagenwelt

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Und geht im Wald, auf dichtverwachsnen Wegen

Dem morgenrothen Gipfel froh entgegen.

A. Schzlr.
(Die Ottilien-Sage ist noch von Mehreren bearbeitet, u. A. von K. Simrock, Benedticte Naubert und Adolf Stöber. Siehe des Letzteren „Gedichte.“ Hannover, 1845. Hahn.)


Der Venusberg bei Ufhausen.[3]

Oben auf der auf dem Schinberge bei Ufhausen, eine Stunde von Freiburg gelegenen Schnewburg lebte in alter Zeit ein Ritter, der Jahre lang viele und große Verbrechen beging und in Ueppigkett und wilder Sinnenlust seine Tage und Nächte verschwelgte. Endlich wachte sein Gewissen aus dem Traume auf und er nahm sich vor, einen andern Lebenswandel zu führen; da ihn aber kein einheimischer Priester von seinen Sünden lossprechen wollte, so pilgerte er nach Rom,


  1. Dieser Quelle wird eine augenheilende Kraft zugeschrieben.
  2. Ein solcher Venusberg kommt unter andern auch zu Waldsee in Schwaben vor. „Bericht des Schaffners der Universität Freiburg über den Zehendstadel auf dem Venusberge.“
  3. [396] Die Sage vom Venusberge kommt, außer in Thüringen, auch zuweilen am Oberrhein vor[2]. Schöne Natur und mildes Klima begünstigen daselbst die Lustgelage im Freien, und mancher Ritter, wie Tanhuser, fruchtlos gewarnt von einem treuen Eckart, mochte bei solchen Gelegenheiten, in fröhlicher Gesellschaft am Saume des Waldes, spurlos verschwunden seyn. Dann hieß es gewöhnlich, Frau Venus mit ihren Gespielinnen habe ihn zu sich in die Tiefe des Berges gelockt, wo zwar in den kristallenen Sälen Tanz und Spiel und allerlei Festlichkeiten gefeiert werden, aber auch die Rückkehr auf die Oberwelt für ewig versagt bleibt.
    (Vergleiche „Taschenbuch für Geschichte und Alterthum.“ Herausgegeben von Dr. Heinrich Schreiber. Freiburg, 1839. Emmerling.)
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 1. Band. Karlsruhe: Kreuzbauer und Kasper, 1846, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_395.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)