Seite:Badisches Sagenbuch 446.jpg

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wilde Feur, so vom nideren Thor hereingebrochen, (außer der Kirchen, Spithal, und Hauß der Niederen [Minoriten] Brüder) schier gar in die Aschen so schnell und häfftig zusammengeworfen worden, daß in dieser so kläglich- als schädlichen Brunst auff die 330 Manns- und Weibspersohnen jämmerlich mit verbrunnen, oder sonsten armseelig umkommen, worbey zwar die neben Bericht (an)geben: daß selbe erste Statt-Häußer bey weitem nit so bemauret, sondern meisten von Holtz-Laim und Lett-Wänden aufgebauet gewesen.[1] Nachdem aber die Wider-Aufferbauung von 1271 weit in das 1300te Jahr hinein sich erstrecket, so hat indessen der versöhnlich und allzeit wider tröstende Himmel dem erschreckten Villingen weit einen theureren und kostbareren Statt-Schatz ohnverhofft zukommen lassen, als der ganze Feur- und Brunsts-Verlust zu schätzen wäre, nemlich an dem so genanten Nägelins-Creutz sunder- und wunderbahrer Erhaltung.[2]

(Auszug aus einem alten Büchlein ohne Titel, eine Art kurzer Chronick der Villinger Stadtgeschichte, gefälligst mitgetheilt von Herrn Chorregenten Dürr dortselbst.)

Villigen wurde im Jahr 1119 von Berthold III., dem Erbauer Freiburgs i. B. zu bauen angefangen, und durch dessen Sohn, Berthold IV. mit nach Freiburgs Vorbild eingerichtetem Gemeindewesen, vollendet. Die Geschichte der Stadt ist eine Bilderreihe des manichfachsten Schicksalswechsels, namentlich schwerer verheerender Belagerungen.

  1. Zu obenerwähnter Feuersbrunst gibt Herr Chorregent Dürr in einem Briefe an den Herausgeber folgende Anmerkung:
    „Es befindet sich eine Art Bergkessel (genannt „Wannen“) ohngefähr zehn Minuten von der Stadt, Villingen gegenüber; dieser soll ein vulkanischer Krater gewesen seyn, aus welchem sich einst ein Glutherguß bis in die Stadt hinein gewälzt habe. Anderen Berichten nach entwickelte sich damals ein feuriges Meteor, welches seinen Weg durch das niedere Thor in die Stadt, gekommen. Ein, der heiligen Agathe, als Fürsprecherin bei Jesu in Feuersgefahr, geweihtes Votivbild ist unter dem Bogen des Thorthurmes angemalt und vor etwa 20 Jahren renovirt worden. Noch vor 30 Jahren wurden von den Bewohnern der Umgegend vor dieser Votivtafel bei brennenden Kerzen, am Feste der heiligen Agathe im Februar, öffentliche Gebete zur Abwendung von Feuersgefahr abgehalten.
  2. Die Geschichte der Auffindung dieses „Nägelin-Kreutzes“ ist kurz folgende:
    Um das Jahr 1300 trug es sich zu, daß Andreas Nägelin, ein Bauersmann aus dem Spaichinger Thale, von Dürheim nach Villingen ging, um daselbst den Markt zu nützen. Unterwegs in der Gegend [447] der sogenannten Schönwiesen fand er ein schön gearbeitetes Crucifix zur Seite der Straße liegen, hob es voll Ehrfurcht auf und verbarg es einstweilen in einem nahen Gebüsche, um es auf seinem Rückwege mit nach Hause zu nehmen.
    Dies geschah; er stellte das Bild in seiner Kammer auf und verrichtete zwei Jahre hindurch täglich seine Andacht davor. Nach Verlauf dieser Zeit fiel er in eine schwere Krankheit, die dergestalt überhand nahm, daß Nägelin bald alle Sinne schwanden und er 24 Stunden lang wie eine Leiche da lag, so daß die Leute ihn für todt hielten und Anstalten zu seiner Beerdigung trafen.
    Allein Wunder über Wunder! Nägelin erhält plötzlich sein Bewußtsein wieder und fängt ganz deutlich folgende Worte zu reden an: „Laßt dieses heilige Kreuz durch einen vertrauten Mann nach Villingen tragen, mit Vermelden, daß wenn diesem Crucifix zu Ehren daselbst ein Kirchlein errichtet würde, dann werde Villingen von großen, schwerdrohenden Uebeln verschont und erhalten werden.“ – Man erfüllte Nägelins Wunsch und sandte Boten mit dem Kreuze in die Stadt; allein die Obrigkeit setzte Zweifel in die Wahrhaftigkeit des Berichtes und die Boten mußten unverrichteter Sache mit dem Crucifix wieder heimkehren. Doch in der folgenden Nacht, gegen Tagesanbruch, vernahm Nägelin von dessen Platze her folgende Worte: „Steh auf, Andreas Nägelin, nimm dieses Kreuz und trag es nun selbst nach Villingen, um die versprochenen Gnadenverheißungen durch deinen eigenen Mund zu bekräftigen!“ – Mit einem Male fühlte sich Nägelin von aller Krankheit und Schwäche befreit; zum höchsten Staunen der Seinigen erhob er sich kräftig vom Lager, eilte zum Pfarrer des Orts, erzählte ihm den Vorgang und[WS 1] bat ihn um seine Begleitung nach Villingen. Alsbald machten sich die Beiden mit dem Wunderkreuze auf den Weg und es gelang ihnen, den Magistrat der Stadt zum Entschluß zu bewegen, das Kreuz in ihren Mauern aufzustellen und ihm ein eigenes Kirchlein zu bauen, wozu man den Platz vor dem Bickenthore wählte. Bald war die Kapelle fertig und seit der Zeit hat das Nägelinskreuz, von Wallfahrern aus Nähe und Ferne immer zahlreicher besucht, in schweren Zeiten der Stadt und ihrer Bewohner der Wunder unzählige gethan und sie geschützt in den drohendsten Gefahren, namentlich während der Belagerung im Jahr 1633 von den Schweden.
    {{LineSize|89|10|(Auszug aus einem dem Herausgeber von Herrn Chorregenten Dürr mitgetheilten Büchlein unter dem Titel „Das Nägelins-Kreuz etc. zu einem förmlichen Betbüchlein eingerichtet.“ Herausgegeben von M. C. S. Villingen. (Ohne Jahrszahl.) In diesem Büchlein sind eine Menge Wunderwirkungen des heiligen Kreuzes aufgezählt, wie auch eine kurze Geschichte der von der Stadt erlittenen Belagerungen.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: und und
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 1. Band. Karlsruhe: Kreuzbauer und Kasper, 1846, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_446.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)