Seite:Badisches Sagenbuch II 077.jpg

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Die drei Jungfrauen aus dem See.

Ohngefähr in der Mitte des schönen Thales von Ober-Kappel, da, wo der Weg zum Mummelsee hinaufführt, liegen mehrere zerstreute Wohnungen, die zusammen den Zinken Seebach ausmachen. Wie in vielen Gegenden Deutschlands, so ist es auch hier Sitte, daß an den langen Winterabenden die jungen Mädchen mit ihren Kunkeln sich abwechselnd in einer der Wohnungen versammeln, um sich beim Spinnen die Zeit um so angenehmer durch Singen und Plaudern zu vertreiben. „Zur Spinnstube gehen“, nennt man diesen Gebrauch. Auch die jungen ledigen Bursche aus dem Orte pflegen sich dabei einzufinden, doch beschränken sich Alle auf ehrbare Kurzweil.

Vor vielen Jahren war eines Abends die Spinnstube bei dem reichen Hofbauer Erlfried und Alles munter und guter Dinge, als die Thüre sich leis öffnete und drei weißgekleidete Jungfrauen von ausnehmender Schönheit hereintraten, Jede ein niedliches Spinnrädchen von seltsamer Form in der Hand. Sittsam begrüßten sie die Gesellschaft und die Eine von ihnen fragte mit süßer Stimme an, ob man ihnen, als friedlichen Nachbarinnen, wohl die Gunst gestatten wolle, Theil zu nehmen an der Unterhaltung in der Spinnstube? Augenblicklich, doch nicht ohne wunderliche Gefühle, ward es den unbekannten Nachbarinnen zugestanden; man setzte für sie Stühle in den Kreis und bald schnurrten ihre Rädchen mit den anderen um die Wette. Durch diesen unerwarteten Besuch war freilich die heitere Unbefangenheit des ländlichen Kreises etwas gestört worden und Alle fühlten eine gewisse Scheu; als aber die Jungfrauen mit ihnen so freundlich sprachen und mit ihren klaren blauen Augen so traulich und offen umherblickten, da verlor sich allmälig das unheimliche Gefühl und bald war die vorige Munterkeit und der harmlose Frohsinn der Spinnerinnen wieder hergestellt.

Von nun an fehlten die drei Fremden in keiner Spinnstube mehr. Sobald der Abend dämmerte, stellten sie sich mit ihren Spinnrocken ein und plauderten gesellig mit den Andern, aber mit dem Glockenschlag eilf nahmen sie Kunkel und Hanf zusammen und eilten fort; da half kein Bitten, kein Zureden,

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band . Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_077.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)