Seite:Badisches Sagenbuch II 107.jpg

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kam ich vorüber, dem man die Gestalt eines Thurmes gegeben, und der bei der Landesvermessung zum Signalpunkt diente; wanderte nun auf eine Gruppe verkümmerter Kiefern zu und stand plötzlich – am Rand eines gewaltigen Bergkessels. Jäh und steil fiel die Kluft mehrere hundert Fuß tief hinab; wild durcheinander geworfene Felsblöcke, zwischen denen mächtige Tannen zum Himmel empor strebten, überdeckten die abschüssigen Hänge, und den ganzen Grund der weiten Schlucht füllte der Mummelsee aus. Mühsam kletterte ich zwischen dem Gestein hinab und erreichte bald das felsige Ufer. Still und unbeweglich wie der acherusische See, schwarz und schauerlich wie das Asphaltgewässer des todten Meeres, lag der Wasserspiegel vor mir. Kein Blick vermag zu ergründen diese schauerliche Tiefe und die Geheimnisse zu erspähen, die sie birgt auf ihrem Grunde. Kein lebendes Wesen beherbergt er in seinem düstern Schooße und kein Ton unterbricht die ewige Stille der Umgebung, als zuweilen das Gekreisch eines Raubvogels.

Der Aufenthalt in dieser öden Wildniß hat etwas ungemein Ergreifendes, und wer einmal hier gewesen, wird es leicht begreiflich finden, daß sich die Sage so viel mit diesem See beschäftigt und daß schon die Alten ihm den Namen Wundersee gegeben. Ich suchte mir ein Ruheplätzchen am Ufer und fand es neben einem frischen Bergquell, der frisch und klar zwischen dem Gestein herabsprudelte, wo ich mich auf die schwellende Moosdecke niederließ. Gerade mir gegenüber öffnete sich die hohe Bergwand und in dieser Oeffnung drängt sich durch Felsen hindurch der Abfluß des See, der Seebach, und eilt hastig in das Thal hinab, sich mit der Acher zu vereinigen, einem kleinen Bergwasser, da aber oft zum wilden, reißenden Strome anschwillt und verheerend durch die Thäler braußt. Doch meine Blicke hafteten nur auf dem dunkeln Gewässer, dessen Spiegel sich jetzt bisweilen leise zu kräuseln begann, und vor meiner Seele vorüber zogen all die wundersamen Sagen, so ich schon von diesem Bergsee vernommen und wiegten mich in tiefe Träume. So lag ich lange, lange, wie lange weiß ich nicht, aber im Westen sank die Sonne hinab, die Schwingen der Dämmerung flogen über die Erde, und die Schatten der Berge legten sich über den See; der Nachthimmel, mit den ewigen Sternen und

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)