Seite:Badisches Sagenbuch II 108.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dem bleichen Mondesantlitz, spiegelte sich wieder auf der dunkeln Fläche, während das Geläute der Abendglocken sanft verhallend aus den Thälern zu mir herauf klang. Da war es mir plötzlich, als ziehe sich eine Decke von der bisher verschlossenen Wasserschlucht, und die unermeßnen Tiefen erschlößen meinen Augen ihre Geheimnisse. Zauberische Hesperidengärten erblühten in frühlingsherrlicher Wunderpracht auf dem Grunde des schlafenden See’s, wo die bräutliche Myrthe und die duftende Orangenblüthe, mit hellblinkenden Kristallblumen und blutrothen Korallen und tausend andern Blüthen und Blumenkelchen von niegesehener Gestalt und Farbenpracht, sich zu den wundersamsten Gruppen, Lauben und Irrgängen seltsam verwoben. Dazwischen aber auf den gewundenen Wegen vom reinsten Kristallsand wandelten die lieblichen Bewohnerinnen der Wasserwelt: schlanke, ätherische Gestalten, so fein und zart, so hold und entzückend, von solch überirdischer Reizesanmuth, daß sie geschaffen schienen aus dem duftigsten Wellenschaum, durchwebt mit Lilienschnee und Rosenschmelz. Kosend und scherzend schwebten sie zephyrleicht durch die Gebüsche und warfen bisweilen Blicke zu mir empor voll brennender Sehnsucht und wonniger Liebesgluth. Wie schauten sie verlockend aus ihren dunklen Augen zu mir herauf! – da mit Einemmale trübte sich der krystallhelle Wasserspiegel; immer farbloser und verworrener wurden die zauberischen Bilder; wogend und wirbelnd drehten sich die Wasser im tiefen Grunde durcheinander, und Alles verschwamm zu einer wirren chaotischen Masse, aus deren dunklem Kerne jetzt die seltsamsten Mißgestalten sich zu entknäueln begannen. Häßliche Molche, Seedrachen, Wasserschlangen, Skorpionen, Medusen, Mollusken und allerlei eckelhaftes Gewürm kroch wimmelnd in unzähliger Menge wild durcheinander, dazwischen aber empor tauchten mißgestaltete Kobolde, grinsten aus ihren verzerrten Gesichtszügen höhnend mich an, oder hoben drohend ihre zwerghaften Fäuste gegen mich. Dort näherte sich mir eine riesige Seespinne mit ihren scheußlichen Füßen, ätzendes Gift nach mir speiend; da reckte ein gräßlicher Polyp seinen endlosen Arm nach mir aus, den er immer länger und länger dehnte, bis er mich fassen konnte – ich wollte um Hülfe rufen, allein jeder Laut war mir in der Brust festgebannt.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_108.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)