Seite:Badisches Sagenbuch II 147.jpg

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4) Der Hennegraben.

Unfern der Burg Windeck liegt eine Meierei, der Hennegraben genannt.[1] Zwischen den fröhlich grünenden Weinreben und den hohen dunkeln Kastanienbäumen sind noch die Spuren eines Grabens zu erkennen, welcher sich um ein Vorwerk des Schlosses herzog.

Zur Zeit, als der Dechant von der Straßburger Domkirche auf Windeck gefangen saß (1370) wohnte unten im Wolfshag, in einer aus Baumrinde und Moos verfertigten Hütte, eine hochbetagte Frau, welche von den Umwohnern nur das Waldweiblein genannt wurde. Sie kannte viele verborgene Dinge und auch die geheimen Heilkräfte der Pflanzen; die wilden Thiere des Forstes thaten ihr nichts zu Leide, sondern näherten sich ihr demüthig und gehorchten willig ihrer Stimme. Der ganze Reichthum des grauen Mütterleins bestand in einigen weißen Hühnern von ungewöhnlicher Größe, die sich selbst ihr Futter im Walde suchten.

Eines Abends saß die Alte vor ihrer Hütte, da kamen zwei wunderschöne Knaben des Weges daher. Sie waren müde und niedergeschlagen und fragten nach dem nächsten Pfade zur Burg Windeck. Die Alte hieß sie freundlich willkommen und erquickte sie mit Waldfrüchten und weißem Brode. Der Jüngere, ein Knabe von dreizehn Jahren, ließ sich’s trefflich munden, allein der Aeltere, der ohngefähr siebenzehn Sommer zählen mochte berührte keine der süßen Beeren, sondern sah traurig zu Boden, ja, nach und nach schlichen auch Thränen über seine Wangen, was er jedoch zu verbergen suchte und deßhalb an einem nahen Felsbrünnlein sich die Augen mit dem klaren frischen Wasser auswusch. Wie die vom Morgenthau beperlte Rose, so glänzten jetzt seine Wangen wieder im blühenden Jugendroth und das Waldweiblein schaute ihn wohlgefällig an und sagte: „Ei du kleiner Schalk, sicherlich bist du kein Knabe, sondern ein Mägdelein! Aber habt nur Vertrauen zu mir, ihr Kindlein Gottes, und sagt mir, wo eure Eltern wohnen und was für ein Begehren ihr auf Windeck anzubringen habt?“


  1. Siehe die vorige Sage.
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)